Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
Hut mit einem grünen Seidenband. Auf den ersten Blick schien sie eine durchschnittliche Reisende aus einer der reichen Städte des Westens – Rom, Paris, London oder New York. Mit dem zweiten Blick allerdings entdeckte man, daß sie sich durch ihre Hautfarbe von den abendländischen Frauen unterschied. Die olivfarbene Tönung, weder schwarz noch weiß, ließ auf Nordafrika schließen. Was den Unterschied bestätigte, hielt sie in der Hand und hatte es nur Sekunden vorher an den Zaun gepreßt: eine Miniaturkamera, kaum fünf Zentimeter groß,
mit einem winzigen Objektiv für Telefotografie, ein Apparat, wie ihn Geheimdienstleute benutzten. Der schmutzige, heruntergekommene Laster hatte den Parkplatz des Lagerhauses verlassen. Sie brauchte die Kamera nicht mehr und ließ sie in der Handtasche verschwinden.
»Kalaila!« rief ein dicker, großäugiger, fast kahlköpfiger Mann, der, zwei große Koffer schleppend, schwerfällig auf sie zugestapft kam. Schweiß durchtränkte sein Hemd und drang sogar durch den schwarzen Nadelstreifenanzug, der unverkennbar Savile Row war. »Kalaila – warum, um Gottes willen, hast du nicht gewartet?«
»Es hat mich einfach schrecklich gelangweilt, in der Schlange zu stehen, Liebling«, antwortete sie. Ihr Akzent war ein undefinierbares Gemisch aus britischem Englisch und Italienisch, vielleicht auch Griechisch. »Ich wollte mich nur ein bißchen umsehen.«
»Gütiger Himmel, Kalaila, das darfst du nicht. Kannst du das denn nicht begreifen? Maskat ist im Augenblick die Hölle auf Erden.« Der Engländer blieb vor ihr stehen, das hamsterbackige Gesicht gerötet und schweißnaß. »Ich wäre bei diesem Vollidioten am Einreiseschalter als nächster an der Reihe gewesen, und als ich mich umschaute, warst du nicht da. Und als ich hinauswollte, um dich zu suchen, hielten drei Irre mit Gewehren – Gewehren! – mich auf, nahmen mich mit und durchsuchten unser Gepäck.«
»Ich kann nur hoffen, daß du sauber warst, Tony.«
»Die Schweine haben meinen Whisky beschlagnahmt.«
»Ja, diese Opfer, die ein erfolgreicher Mann bringen muß. Keine Sorge, Liebling, ich verschaffe dir neuen.«
Der britische Geschäftsmann ließ den Blick über Kalailas Gesicht und Figur schweifen. »Nun, weg ist weg, nicht wahr? Wir gehen jetzt wieder hinein und bringen es hinter uns.« Der dicke Mann blinzelte. »Ich habe ein phantastisches Quartier für uns besorgt.«
»Ein Quartier? Ein gemeinsames Quartier, Liebling?«
»Ja, selbstverständlich.«
»Aber das geht nicht, das ist unmöglich.«
»Was? Du hast gesagt...«
»Was habe ich gesagt?« unterbrach ihn Kalaila, die dunklen Brauen bis über die Sonnenbrille hochgezogen.
»Nun, du hast mir stillschweigend zu verstehen gegeben – ziemlich deutlich sogar, möchte ich hinzufügen-, daß wir, wenn ich dir einen Platz in dieser Maschine besorge, in Maskat eine Menge Spaß miteinander haben könnten.«
»Spaß, natürlich. Drinks am Golf, vielleicht gemeinsam zum Rennen gehen, Abendessen im Al-Kaman - ja, all das war damit gemeint. Aber in deinem Zimmer?«
»Nun, tja – nun, ich meine, gewisse Dinge müssen ja nicht wortwörtlich ausgesprochen werden.«
»O mein süßer Tony! Wie kann ich mich nur für dieses Mißverständnis entschuldigen? Meine alte englische Hausmutter an der Universität von Kairo hat mir vorgeschlagen, mich mit dir in Verbindung zu setzen. Sie ist mit deiner Frau eng befreundet. O nein, das könnte ich nie tun!«
»Scheiße!« explodierte der erfolgreiche Geschäftsmann Tony.
»Miraja!« überschrie Kendrick das ohrenbetäubende Geratter und Geknatter des Wracks, das sich Laster nannte und eben über eine Nebenstraße nach Maskat hineinholperte.
»Um einen Spiegel hatten Sie nicht gebeten, ya schaikh!« schrie der Araber zurück. Sein Englisch hatte einen starken Akzent, war aber durchaus verständlich.
»Dann soll der Fahrer einen Außenspiegel abbrechen! Sagen Sie’s ihm.«
»Er kann mich nicht hören, ya schaikh . Das ist ein alter Wagen, es gibt so viele davon, daß er nicht auffallen wird. Aber ich kann mich mit dem Fahrer nicht in Verbindung setzen.«
»Verdammt noch mal!« rief Kendrick, die Tube mit dem Gel in der Hand. »Dann müssen Sie mir die Augen ersetzen, ya sahbi «, sagte er und nannte den Mann »Freund«. »Kommen Sie näher, und sehen Sie mir zu. Sagen Sie mir, wenn ich’s richtig mache. Öffnen Sie die Plane.«
Der Araber schob das Segeltuch zurück und ließ Sonnenlicht in den dunklen Laster.
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