Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
hatte,
die ihm erlaubte, die Akten der verstorbenen Stabschefin des Vizepräsidenten einzusehen. Weil ihr Chef nicht da war, dachte die Sekretärin gar nicht daran, irgend jemand in den Akten herumschnüffeln zu lassen, deshalb rief sie in dem Haus in San Jacinto an. Unser Mann, der wußte, daß sich dort niemand melden würde, hing ein paar Stunden lang herum und spielte den verärgerten Regierungsbeamten aus Washington, der seine Befehle vom Nationalen Sicherheitsrat bekommen hat, während sie dauernd versuchte, den Anwalt zu erreichen. Allem Anschein nach war sie tatsächlich in Sorge; er hatte hinterlassen, er konferiere den ganzen Tag lang zu Hause mit wichtigen Mandanten... Wir wissen nicht, ob sie es aus Frustration oder aus Selbstschutz getan hat, und das ist uns auch egal, jedenfalls plauderte sie dann aus, daß die Seiten, hinter denen unser Mann her war, vermutlich die vertraulichen Seiten seien, die sie fotokopiert habe, aber an die komme er sowieso nicht heran, weil sie in einem Bankschließfach deponiert seien.«
»Bingo«, sagte Evan ruhig, während er innerlich jubilierte.
»Fraglos. Sie hat sogar das Hauptbuch beschrieben... Unser Unschuldslamm von einem Anwalt war absolut dazu bereit, Grinell das Hauptbuch zu verkaufen und ihn dann mit der Kopie zu erpressen. Grinells Spitzel war aus reiner Neugier in San Jacinto, aus sonst keinem Grund, und innerhalb einer Stunde kommen wir an das Hauptbuch heran.«
»Holen Sie’s sich, Mitch, und dechiffrieren Sie’s! Halten Sie Ausschau nach einem Mann namens Hamendi, Abdel Hamendi.«
»Nach dem Waffenhändler«, sagte Payton und bestätigte damit die Information. »Adrienne hat es mir gesagt. Die Fotos in der Wohnung der Vanvlanderens – Lausanne, Amsterdam.«
»Das ist er. Natürlich führen sie ihn unter einem Codenamen, aber Sie können das Geld zurückverfolgen, die Transaktionen in Genf und in Zürich – die Gemeinschaftsbank in Zürich.«
»Selbstverständlich.«
»Noch was, Mitch. Machen wir jetzt reinen Tisch, soweit uns das möglich ist. Ein Mann wie Hamendi liefert Waffen an alle kriegführenden Parteien, die er irgend auftreiben kann, und jede Partei bringt die andere mit den Waffen um, die er ihr verkauft. Dann hält er Ausschau nach weiteren Mördern, nach denen, die Anzüge für tausend Dollar tragen und in plüschigen
Büros sitzen und am Krieg Geld verdienen wollen, und die baut er in sein Netz ein... Die Produktion wird auf das Zehnfache gesteigert, dann auf das Zwanzigfache, und immer mehr Menschen werden umgebracht, es gibt immer mehr Gegner, an die man verkaufen kann, immer mehr Fanatiker, die Nachschub wollen... Wir müssen ihn stoppen, Mitch. Geben wir einem Teil unserer blutigen Welt eine Chance zum Luftholen – ohne seine Waffenlieferungen.«
»Das ist ziemlich viel verlangt, Evan.«
»Lassen Sie mir ein paar Wochen Zeit, bis ich wieder zusammengeflickt bin. Und schicken Sie mich dann wieder nach Oman.«
»Wie bitte?«
»Ich will den größten Waffeneinkauf tätigen, von dem Hamendi je geträumt hat.«
Sechzehn Tage vergingen. Weihnachten war eine schmerzliche Erinnerung, das neue Jahr wurde vorsichtig, voller Mißtrauen begrüßt. Am vierten Tag hatte Evan Emilio Carallo besucht und ihm das Foto eines schönen neuen Fischerboots überreicht, dazu die Eignerpapiere, die Unterlagen über einen im voraus bezahlten Lehrgang für das Kapitänspatent, ein Sparbuch und die Versicherung, daß ihn keiner der Männer von der Insel je in El Descanso belästigen werde. Das entsprach der Wahrheit. Die auserwählten Brüder der inneren Regierung, die auf der Insel konferiert hatten, legten keinen Wert darauf, daß das bekannt wurde. Sie steckten statt dessen die Köpfe mit ihren Heerscharen von Anwälten zusammen. Sie machten sich keine Sorgen über einen verkrüppelten Fischer in El Descanso. Sie waren vollauf damit beschäftigt, Kopf und Kragen und ihr Vermögen zu retten.
Am achten Tag brach in Chicago eine Lawine los, die den Mittleren Westen überrollte. Das fing damit an, daß vier voneinander unabhängige Zeitungen in einem Umkreis von hundert Kilometern mutmaßten, der Kongreßabgeordnete Evan Kendrick werde sich um die Nominierung zum Vizepräsidentschaftskandidaten bewerben. Innerhalb von zweiundsiebzig Stunden zogen drei weitere Zeitungen nach, außerdem sechs Fernsehstationen, die fünf der Zeitungen gehörten. Aus den Mutmaßungen wurden Ermunterungen, und überall im Land schlugen die
Journalisten einen Riesenlärm.
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