Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
massiven Mathaib-Tor westlich der alten portugiesischen Festung Mirani hervorgestürmt. Seine Aba war mit öligem Hafenwasser getränkt, seine Kopfbedeckung klebte ihm am Hinterkopf. Für die Beobachter, und es gab deren um diese späte Stunde noch viele auf der Straße, war der verzweifelt Fliehende ein Stück Strandgut, ein Fremder, der von einem Schiff gesprungen war, um illegal in dieses friedliche Sultanat zu gelangen; Flüchtling oder Terrorist, das war die Frage.
Die schrille Zweiklangsirene eines Polizeifahrzeugs wurde lauter, als der Wagen von Wadi Al Uwar in Wadi Al Kabir einbog. Andere Streifenwagen folgten. Ein Polizei-Informant hatte gemeldet, wo der Mann an Land gegangen war, und die Behörden waren bereit. In diesen Tagen waren sie immer bereit. Blendend grelles Licht erhellte die sonst nur schwach beleuchtete Straße. Der Strahl kam von einem schwenkbaren Scheinwerfer, der auf dem Dach eines Streifenwagens montiert war. Der Lichtstrahl fing den verängstigten Illegalen ein. Er wandte sich nach links, stand vor einer Reihe von Läden, die mit Eisengittern gesichert waren – ein Schutz, an den man noch vor drei Wochen nicht einmal im Traum gedacht hätte. Der Mann drehte sich um und überquerte taumelnd Wadi Al Kabir. Plötzlich stellte sich ihm eine Gruppe von Nachtschwärmern in den Weg, und er mußte stehenbleiben. Sie wichen nicht von der Stelle, und obwohl ihre Blicke ein wenig ängstlich waren, sagten sie auch, genug sei genug. Sie wollten ihre Stadt wiederhaben. Ein kleiner Mann im Straßenanzug, aber mit arabischer Kopfbedeckung, trat einen Schritt vor – vorsichtig, um nichts zu riskieren, aber entschlossen. Zwei größere Männer in Abas, vielleicht noch vorsichtiger, aber genauso entschlossen, traten neben ihn, und andere folgten zögernd. Im südlichen Teil von Wadi Al Kabir hatte sich schon wieder eine Menge zusammengefunden. Zögernd formierte man sich zu einer Kette. Männer in Abas und verschleierte Frauen bildeten eine lebende Mauer quer über die Straße. Ihr Zorn gab ihnen Mut. Es mußte aufhören!
»Geht weg, zerstreut euch! Er hat vielleicht Handgranaten!«
Ein Polizeibeamter war aus dem Streifenwagen gesprungen und rannte, die Pistole schußbereit, auf den Gejagten zu.
»Los, auseinander!« schrie ein zweiter Polizist, der die linke Straßenseite entlangsprintete. »Sonst geratet ihr noch in die Schußlinie!«
Die Vorsichtigen unter den Spaziergängern und die zögernde Menge dahinter zerstoben in alle Richtungen und suchten in Hauseingängen Schutz. Wie auf ein Stichwort faßte der Flüchtling unter seine durchweichte Aba, riß sie vorn auseinander und griff drohend zwischen die Falten. Eine Salve gezielter Schüsse peitschte durch Wadi Al Kabir. Der Flüchtling schrie, beschwor den Zorn Allahs und den der rachedurstigen Al Fatah auf die Verfolger herab, griff sich an die Schulter, wölbte den Nacken und fiel zu Boden. Er schien tot zu sein, doch in dem spärlichen Licht sah niemand, wie schwer verletzt er wirklich war. Die beiden Polizisten stürzten sich auf ihn, als der Streifenwagen mit quietschenden Reifen anhielt. Ein dritter Polizist sprang aus dem Fond des Autos und brüllte Befehle. »Entwaffnet ihn! Durchsucht ihn!« Seine beiden Untergebenen hatten die Anweisungen erwartet und schon ausgeführt. »Er könnte es sein!« rief der vorgesetzte Beamte und kniete nieder, um den Flüchtling zu durchsuchen. »Da!« schrie er noch lauter als vorher. »An seinem Oberschenkel befestigt. Ein Päckchen. Her damit!«
Neugier trieb die Zuschauer nach und nach wieder an den Ort des Geschehens zurück.
»Ich glaube, Sie haben recht, Chef!« rief der Polizist, der links neben dem Gefangenen kauerte. »Hier, diese Rötung! Sie könnte das Mal sein, das von der Narbe an seinem Hals zurückgeblieben ist.«
»Bahrudi!« rief der höhere Polizeibeamte triumphierend, während er die Papiere studierte, die er der wasserdichten Hülle entnommen hatte. »Amal Bahrudi! Der Getreue! Er wurde zuletzt in Ost-Berlin gesehen. Und bei Allah, jetzt haben wir ihn!«
»Ihr alle!« wandte sich der Polizist, der an der rechten Seite des Mannes kniete, an die wie hypnotisiert dastehende Menge. »Geht! Fort mit euch. Dieses Schwein kann Helfershelfer haben – es ist der berüchtigte Bahrudi, der osteuropäische Terrorist. Wir haben per Funk Soldaten aus der Garnison des Sultans angefordert. Fort mit euch, damit ihr nicht getötet werdet!«
Die Zeugen flohen, gingen durch wie eine wild gewordene
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