Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
das? Zu wem hat man dich geschickt?«
»Idiot!« explodierte Kendrick. »Aber wie du willst. Wo ist Nassir? Alle fragen: Wo steckt Nassir?«
»Er ist tot«, antwortete der junge Mann ausdruckslos.
»Was?«
»Ein Wachposten des Marinekorps ist über ihn hergefallen, hat ihm die Waffe abgenommen und ihn erschossen. Der Marinesoldat wurde auf der Stelle getötet.«
»Uns wurde nichts gesagt...«
»Was hätte es genützt?« entgegnete der Terrorist. »Ein einzelner amerikanischer Wachposten wäre zum Märtyrer gestempelt worden. Und es hätte bewiesen, daß einer von uns überwältigt wurde. Na und? Wir prahlen nicht mit unseren Schwächen.«
»Nassir?« fragte Kendrick, der aus der Stimme des jungen Mannes ein gewisses Bedauern herauszuhören glaubte. »Nassir soll schwach gewesen sein?«
»Er war Theoretiker und für diese Arbeit ungeeignet.«
Kendrick zog die Brauen hoch. »Sieh an, sieh an, unser Student ist wohl Psychoanalytiker!«
»Kein Analytiker. Er erkennt nur jeweils den richtigen Moment, in dem der aktive Einsatz die passiven Debatten ablösen, in dem das Wort der Tat weichen muß. Nassir redete zuviel, versuchte zuviel zu rechtfertigen.«
»Und das tust du nicht?«
»Es geht hier nicht um mich, sondern um dich. Was hast du für einen Beweis dafür, daß es Verrat in unseren Reihen gibt?«
»Die Frau, Jatim«, sagte Kendrick, ohne auf die Frage einzugehen. »Saja Jatim. Man hat mir gesagt...«
»Jatim eine Verräterin?« rief der Terrorist zornerfüllt.
»Das habe ich nicht gesagt...«
»Was dann?«
»Daß sie zuverlässig ist – wollte ich sagen...«
»Sie ist viel mehr als das, Amal Bahrudi!« Der junge Mann packte den Stoffetzen, der noch von Kendricks Hemd übrig war. »Sie ist unserer Sache mit Leib und Seele ergeben, eine unermüdliche
Arbeiterin, die sich in der Botschaft bis zur Erschöpfung verausgabt, mehr als irgendeiner von uns.«
»Sie spricht auch Englisch«, sagte Kendrick und hörte aus der Stimme des Terroristen noch etwas anderes heraus.
»Das tu’ ich auch«, antwortete zornig der Student von eigenen Gnaden und ließ seinen Gefangenen los.
»Und ich spreche es auch«, sagte Kendrick ruhig, mit einem Blick auf die anderen Häftlinge, von denen viele sie beobachteten. »Könnten wir jetzt Englisch sprechen?« fragte er, seine verletzte Schulter abtastend. »Du sagst, du willst Beweise, die ich dir natürlich nicht geben darf, aber ich kann dir erzählen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe – in Berlin. Du kannst dann selbst entscheiden, ob ich die Wahrheit sage oder nicht-da du ja die besondere Fähigkeit hast, die Dinge schnell zu durchschauen. Ich will jedoch nicht, daß deine unmenschlichen Brüder verstehen, was ich sage.«
»Du bist arrogant – obwohl dir unter diesen Umständen eigentlich jede Arroganz vergehen müßte.«
»Ich bin der, der ich bin.«
»Das hast du schon ein paarmal gesagt.« Der Terrorist nickte. »Aber gut, sprechen wir Englisch. Du hast Jatim erwähnt. Was ist mit ihr?«
»Du hast angenommen, ich meinte, sie sei eine Verräterin.«
»Wer wagt es...«
»Ich habe das genaue Gegenteil gemeint«, erklärte Kendrick, zuckte zusammen und umfaßte seine Schulter fester. »Man vertraut ihr, man rühmt sie. Nach Nassir war sie diejenige, an die ich mich wenden sollte.« Er stöhnte auf vor Schmerz und fuhr beinahe keuchend fort: »Falls sie nicht mehr am Leben sein sollte, hatte ich den Auftrag, mich mit einem Mann in Verbindung zu setzen, der Asra genannt wird – und nach ihm mit einem anderen, der graue Strähnen im Haar hat und unter dem Namen Abjad bekannt ist.«
»Ich bin Asra!« rief der dunkeläugige Student. »Ich bin der, den sie ›Blau‹ nennen.«
Volltreffer, dachte Kendrick und musterte den jungen Terroristen eindringlich und fragend. »Aber du bist hier, im Gefängnis, nicht in der Botschaft...«
»Das hat unser ›Kriegsrat‹ so beschlossen, unter dem Vorsitz von Jatim«, fiel Asra ihm ins Wort.
»Ich verstehe nicht.«
»Wir haben eine Nachricht erhalten. Gefangene wurden in Einzelhaft gehalten – gefoltert, bestochen, ihr Wille auf die eine oder andere Art gebrochen, so daß sie sich bereit fanden zu reden. Es wurde beschlossen, daß der Stärkste von uns – den Mitgliedern des Rates – sich auch verhaften lassen sollte. Die Leute brauchen einen Anführer, der sie zum Widerstand aufstachelt.«
»Und man hat dich gewählt? Sie hat dich gewählt?«
»Saja wußte, was sie tat. Sie ist meine Schwester. Ich ihr
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