Der im Dunkeln wacht - Roman
hatte sie einen Herzinfarkt. Dann war sie gesund. Am ersten Weihnachtsfeiertag kam wieder der Krankenwagen. Dann war sie gesund. Dann hatte sie am 7. Januar Schmerzen in der Brust. Sie sagten, sie sei tot.«
»Wer, sie?«
»Die im Krankenhaus.«
So viel hatte er bislang noch nie am Stück gesagt. Seine raue Stimme war vollkommen unmoduliert, so als wäre er taub. Aber das war er nicht. Er drückte sich merkwürdig aus. Zweimal wiederholte er: »Dann war sie gesund.« Das klang etwas kindlich. Gleichzeitig verwendete er Worte wie funktionell und Verleumder. Irene konnte sich keinen Reim auf ihn machen.
»Sind Sie im Krankenwagen mitgefahren?«, fragte sie.
Er nickte schwach.
»Fehlt sie Ihnen?«
Er zuckte wieder so seltsam mit den Achseln, was alles Mögliche bedeuten konnte. Die Müdigkeit überwältigte Irene plötzlich. Sie hatte das Gefühl, dass ihr keine vernünftige Frage mehr einfiel. Sie hatte herausgefunden, dass Daniel Mitte Januar Kontakt mit dem Blumenladen gehabt hatte, er hatte zugegeben,
manchmal bei ICA Maxi einzukaufen und das Personal dort gelegentlich um Rat zu fragen. Das legte nahe, dass er der Mann sein konnte, der Marie Carlsson bei zwei Gelegenheiten seltsame Fragen gestellt hatte. Außerdem hatte er erzählt, dass er mit seiner Großmutter dreimal in der Notaufnahme gewesen war. Er hatte zugegeben, Yes für alle möglichen Reinigungszwecke zu verwenden, weil es »funktionell« war. Das konnte reichen. Der Ehrlichkeit halber musste sie sich jedoch eingestehen, dass sie dem, was die Kollegen am Vorabend herausgefunden hatten, nicht sonderlich viel hinzufügen konnte.
»Willst du noch eine Frage stellen?«, fragte sie Jonny.
Dieser stand auf und trat an den Schreibtisch. Er stand lange da und betrachtete den Mann auf dem Stuhl, dann sagte er:
»Sie haben einen Führerschein, aber kein Auto. Stimmt das?«
Daniel nickte.
»Aber Sie besaßen doch mal eins?«
Ein erneutes Nicken bestätigte das.
»Soweit ich weiß, haben Sie das Auto vor zwei Jahren abgemeldet. Was haben Sie dann damit gemacht?«
Es sah nicht so aus, als hätte Daniel die Frage verstanden. Er fixierte einen Punkt schräg oberhalb von Jonnys Kopf. Bevor jedoch Jonny die Frage wiederholen konnte, antwortete er:
»Verkauft.«
»Sie haben das Auto also verkauft. An wen?«
Wieder dieses merkwürdige Achselzucken als einzige Antwort.
»Warum gibt es keine Angaben darüber, wer das Auto gekauft hat? Es wurde einfach nur abgemeldet.«
Daniel drehte langsam den Kopf zur Seite und schaute auf den Spiegel an der einen Wand.
»Kolbenfresser, nichts mehr wert, Schrott«, erklärte er seinem Spiegelbild.
»Wer hat es gekauft?«
Ein Kopfschütteln in den Spiegel war die einzige Antwort.
»Was für ein Fabrikat war das?«, fuhr Jonny fort.
Das wusste er natürlich bereits, aber Irene war klar, dass Jonny auf etwas hinauswollte.
»Express«, murmelte Daniel nach der obligatorischen Pause, die er immer einlegte, bevor er eine Frage beantwortete.
»Genau. Ein Renault Express, Baujahr 1990. Ein kleiner praktischer Kombi, perfekt für einen Handwerker, der an verschiedenen Orten diverse kleinere Jobs erledigt. Er wird seit Ende der 90er nicht mehr hergestellt und ist durch den Renault Kangoo ersetzt worden. Warum haben Sie sich kein neues, ähnliches Auto zugelegt?«
Darauf also wollte Jonny hinaus. Ein Auto. Der Mörder musste die Leichen mit Hilfe eines Autos zu dem Ort transportiert haben, an dem er sie in Folie verpackt hatte, und von dort zu den Fundorten.
»Zu teuer«, antwortete Daniel lakonisch.
»Aber dann mussten Sie ja zwangsläufig Ihre selbständige Tätigkeit aufgeben, weil Sie Ihre Geräte nicht mehr transportieren konnten. Warum haben Sie kein neues Auto gekauft?«
Daniel verzog keine Miene. Er schien die Frage nicht einmal gehört zu haben.
»Wie kommen Sie zur Arbeit?«
»Ich nehme keine Arbeiten an, die weit weg sind.«
»Und wie kommen Sie dann zu den Arbeiten, die Sie annehmen ?«
»Moped. Straßenbahn, Bus«, antwortete Daniel unbeirrt.
Da hatte Jonny wirkliche eine interessante Frage aufgeworfen. Warum hatte Daniel kein Auto? Wahrscheinlich lautete die simple Antwort, dass er es sich tatsächlich nicht leisten konnte. Irene war zu müde, um beurteilen zu können, ob dieser Umstand wichtig war. Ihre Kräfte hatten sie plötzlich verlassen. Es war höchste Zeit, nach Hause zu fahren.
Als Irene Feierabend machen wollte und bereits ihre Jacke angezogen hatte, kam Sara in ihr Zimmer.
Sie
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