Der Jade-Pavillon
das sah er ein. Er sprang auf und baute sich in drohender Haltung vor Zhang auf. »Wenn du kein alter Mann wärst«, schrie er ihm ins Gesicht, »würdest du erfahren, was meine Fäuste können! Sag, wer ist das Mädchen in Huili? Wie heißt es? Sag nur diesen einen Namen, und es herrscht Ruhe.«
»Es gibt einen alten Spruch, Junghou, den du in dein Gehirn pflanzen solltest: Die Menschen werden nicht hundert Jahre alt; trotzdem schaffen sie sich Sorgen für tausend Jahre.«
»Um dieser Sorgen willen sind wir hier.« Tong versuchte ein letztes Mal, Zhang zu überreden. »Du bist für mich nicht nur ein Verwandter, du bist für mich mehr, du bist ein Freund. Ein Freund, von dem ich Ehrlichkeit erwarte.«
Zhang antwortete wieder mit einem alten Spruch: »Verjage die Fliege von der Stirn deines Freundes nicht mit einem Beil.«
Tong seufzte laut und lehnte sich zurück. Das Gespräch war beendet. Aus Zhang war eine Mauer geworden, die niemand einreißen konnte. Aber so viel wußte er jetzt: Die Vermutung, daß Jian ein Bauernmädchen liebte, war zur Tatsache geworden.
Zhang verweigerte seine Gastfreundschaft nicht; er ließ Tong, Fengxia und Wu in seinem Hause schlafen, er bereitete ihnen sogar ein Abendessen, aber wenn er sprach, galten seine Worte nur Tong oder Wu, für Fengxia hatte er keinen Blick und keine Silbe mehr.
Als sie am nächsten Morgen in das Auto stiegen, blieb Tong noch einen Augenblick bei Zhang stehen, der an der Tür ihrer Abfahrt zusah.
»Um dein Gewissen zu beruhigen«, sagte Tong zu ihm, »auch Meizhu ist mit unserer Fahrt nach Huili einverstanden.«
»Und sie hat Jians Vertrauen mißbraucht. Was ist das für eine Welt? Eine Mutter verrät ihren Sohn.«
»Meizhu hat Jian nicht verraten. Traust du ihr das zu?«
»Wer hat dir gesagt, daß Jian in Huili ein Mädchen hat?«
»Jian selbst. Er hat auf einer Autokarte den Weg von Kunming nach Huili eingezeichnet, und diese Karte habe ich gefunden. Er hat sie in seinem Zimmer liegen lassen.«
»Der Vorsichtigste kann über ein Steinchen stolpern«, sagte Zhang und gab Tong zum Abschied die Hand. »Auch du kannst über deine Klugheit stürzen. Wer entgeht seinem Schicksal?«
Zhang ging in sein Haus zurück, trank zwei Gläser Schnaps und machte sich dann auf den Weg zu dem Fischer Zongtai, der als einer der wenigen seines Standes ein gutes, stabiles Fahrrad besaß. Das nahm sich Zhang, ohne zu fragen, denn Zongtai war mit seinem Boot auf dem See. Mit keuchender Lunge trat Zhang in die Pedalen, fuhr nach Dali und versuchte im Postamt, Jian per Telefon in der Universität zu erreichen. Es dauerte eine halbe Stunde, bis man Jian gefunden hatte und er ins Postamt Dali zurückrief.
»Dein Vater, deine Schwester und ihr Mann sind nach Huili unterwegs«, rief Zhang ins Telefon.
Jian antwortete nach einem Augenblick des stummen Entsetzens: »Ich danke dir, Onkel Zhang. Ich fahre sofort los. Das ist das Ende der Familie Tong. Gott schütze Lida vor dem Drachen Fengxia!«
Zhou Chen, der Barfußarzt von Huili, blickte durch das Fenster seiner Apotheke auf den schönen, fremden Wagen, der vor seinem Haus hielt und dem ein älterer, vornehmer Herr entstieg. Der Fremde blickte auf das Sanitätsschild, nickte dann den weiteren Insassen des Autos, einem Mann und einer Frau, zu, betrat den Laden und ging an die Theke, wo Zhou saß.
»Seien Sie gegrüßt, Genosse«, sagte Zhou und stellte den Mörser zur Seite, in dem er herumgerührt hatte. »Sind Sie krank? Kann ich Ihnen helfen? Sie sind hier in den besten Händen.«
Tong schüttelte den Kopf. Er überflog mit einem Blick die Fläschchen, Dosen, Gläser, Tütchen und Päckchen, die die Medikamente enthielten, mit denen er selbst noch vor einem Jahr gearbeitet hatte und deren Wirkung er noch immer für ungefährlicher hielt als die harten chemischen Präparate, mit denen man heute die Kranken vollpumpte. »Sind wir hier im Dorf Huili?« fragte er.
»So ist es.« Zhou setzte sich aufrecht hin. »Hat man mich Ihnen empfohlen?«
»Sie sind der Arzt des Ortes?«
»Das bin ich. Zhou Chen.«
»Ich suche einen Bauern, dessen Name ich nicht kenne. Sicherlich können Sie mir helfen.« Tong lehnte sich an die Theke. Im Hintergrund des Raumes sah er zwei Betten, neben denen die Galgen für Infusionsflaschen standen. Die Betten waren leer, die ›Station Huili‹ war nicht belegt. Der letzte stationäre Patient war vor drei Wochen entlassen worden. Gesund, wie Zhou stolz in sein Berichtsbuch eingetragen hatte.
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