Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
müßt, daß Eure Eltern Euch im Kloster ausgesetzt haben. Es ist nun einmal passiert. Es ist Euch sogar Gutes daraus erwachsen. Und selbst wenn es das nicht wäre, müßtet Ihr diesen Umstand annehmen. Er gehört unmittelbar zu Euch und Eurem Leben.«
    Philipp schwieg. »Ihr haltet mir da eine ganz schöne Standpauke«, sagte er dann.
    »Nein«, erwiderte Aude, »das tue ich nicht, wenn Standpauke das bedeutet, was ich meine. Ich wollte nur ehrlich sein.«
    »Ihr wolltet ein Freund sein«, sagte Philipp. »Ich danke Euch dafür. Und ich danke Euch für Eure Geschichte. Ich wollte, ich könnte Eure Offenheit ebenso vergelten, aber es fällt mir zu schwer.«
    »Ihr müßt nicht eine Offenheit mit der anderen vergelten. Hier geht es nicht um Geben und Nehmen.«
    »Ich weiß. Ich will nur sagen: Ich möchte auch Euer Freund sein.«
    Aude neigte den Kopf. Zu ihrer eigenen Überraschung machten seine Worte sie verlegen, aber sie zwang sich dazu, ihm ins Gesicht zu sehen. Als sie sah, daß seine Wangen sich röteten, konnte sie ein Lächeln nicht unterdrücken, aber es war kein spöttisches, sondern ein fröhliches Lächeln, und Philipp erwiderte es nach einem Augenblick.
    Der Ring aus Sträuchern und Bäumen schirmte nicht nur gegen die Umgebung hin ab, er fing auch die Sonne unter den Zweigen der Birken und speicherte ihre Wärme. Aude und Philipp saßen nebeneinander, dichter, als sie es selbst gewahr wurden, und schwiegen. Nach einer Weile begann Philipp zu blinzeln, und der Kopf wurde ihm schwer.
    »Warum ruht Ihr Euch nicht ein wenig aus?« fragte Aude sanft. »Es ist noch früh am Nachmittag, und der Hof Eures Herrn ist nicht mehr so weit entfernt. Wir sind nicht in Eile.«
    Philipp schüttelte den Kopf.
    »Ich kann doch nicht einfach einschlafen«, erklärte er hartnäckig.
    Aude verzichtete darauf, ihm erneut seinen Männerstolz vorzuwerfen. Schließlich bequemte sich Philipp dazu, sich gegen eine der Birken zu lehnen – um seinen Rücken zu entlasten, wie er sagte. Erwartungsgemäß nickte er bald darauf ein, mit angezogenen Knien und an den Stamm gelehntem Kopf. Aude betrachtete ihn; seine Züge entspannten sich, als er tiefer in den Schlaf glitt, und verloren den sarkastischen Zug, den ihm die Falten um die Mundwinkel verliehen. Fast glaubte sie den Jungen zu sehen, in den der Knabe Johannes sich verliebt hatte. Sie dachte über das nach, was sie gesagt hatte, und versuchte Scham darüber zu empfinden, daß sie ihm etwas erzählt hatte, was vor ihm nur Geoffroi wußte. Wieder war sie erstaunt darüber, wie ähnlich sich die beiden Männer im Grunde waren. Ebenso wie Geoffroi hatte auch Philipp ihr Geständnis hingenommen, ohne sie zu verurteilen; und ebenso wie Geoffroi war Philipp nicht fähig, diesen Großmut auch bei sich selbst walten zu lassen. Geoffroi hatte sich von seiner Selbstverachtung dorthin stoßen lassen, von wo es schwer war zurückzukommen. Philipp war noch nicht dort angekommen; ohne sich darüber bewußt zu sein, lieferte er seinem Dämon einen harten Kampf. Eines hatte sie ihm nicht gesagt: Es war richtig, sich selbst mit allen Fehlern und Makeln zu akzeptieren; aber es war falsch, daraus zu schließen, daß man den Kampf gegenjene Seite in sich, die einen die Fehler begehen ließ, aufgeben durfte. Es war ein Kampf, und es war in Ordnung, die eine oder andere Schlacht zu verlieren – aber den Kampf aufzugeben war eine Sünde. Philipp hatte den Kampf nicht aufgegeben.
    Philipp stieß den Atem aus und schien in einen Traum geraten zu sein, der sein Gesicht wieder anspannte und härter, älter, sarkastischer werden ließ. Der Junge war verschwunden, und der Mann saß wieder vor ihr. Plötzlich fühlte sie das Bedürfnis, ihn zu küssen. Sie saß wie angewurzelt auf dem Boden und bewegte sich nicht. Dann ertönte so lautes Gelächter von der Straße, daß es selbst bis hierher drang, und der Moment ging vorbei.
    Der Lärm kam von einer umfangreichen Gruppe Berittener. Aude spähte durch das Gebüsch und entdeckte Farben, die ihr bekannt waren. Als Philipp neben sie trat und sich gähnend mit der Hand durch das Gesicht fuhr, rückte sie beiseite. Er warf ihr einen schuldbewußten Blick zu und kniff die Augen zusammen, um zur Straße hinüberzusehen.
    »Das sind die Gefährten meines Herrn«, sagte er. »Scheinbar ist der Trubel in der Stadt fürs erste vorbei.«
    Sie holten die Gruppe eine Meile später ein; da ihre Pferde staubbedeckt waren, nahm jedermann an, sie seien ihnen schon die ganze

Weitere Kostenlose Bücher