Der Jakobsweg
grün und von Wildbächen durchrauscht, Wälder und dann wieder kahle Bergrücken. Ein wolkenloser Azurhimmel. Bluthänflinge und die clownhaften Stieglitze hängen an mannshohen Disteln und zupfen die Samenkörnchen heraus. Kaum zu glauben, daß dieses blühende Gebirge mit dem gestrigen identisch ist.
Die Sonnenstrahlen haben eine große Schlange hervorgelockt. Lang ausgestreckt liegt sie zwischen Steinen und Macchiagebüsch. Ich habe sie nur zufällig entdeckt, denn ihr dunkler, grüngesprengelter Körper ist ideal getarnt. Als würde sich ein Suchbild auflösen, hatte ich plötzlich gesehen, wie sich die Umrisse eines Schlangenkörpers von der Umgebung abgrenzten. Langsam lasse ich den Rucksack zu Boden gleiten und schleiche mich an. Die Körperlänge, die großen Kopfschilder und die runde Pupille des Auges deuten darauf hin, daß es eine Natter ist, also ungiftig. Schlangen sind meine Lieblingstiere.
Als Kind fing ich jedes Jahr eine Ringelnatter, nahm sie mit nach Hause und schlang sie mir, zum Entsetzen meiner Eltern, während der Schularbeiten um den Hals. Die Schlangen wärmten sich an meiner Haut und blieben deshalb ruhig liegen. Auf ausdrücklichen Wunsch meiner Mutter mußte sie im Terrarium eingesperrt sein, aber ich ließ ihr heimlich Auslauf. Ich brauchte sie nie zu suchen, nur abzuwarten, bis die Sonne durchs Fenster schien und auf dem Teppich ein warmer Sonnenfleck entstand, dort fand ich dann meine Schlange. Es war nur schlimm, wenn meine Mutter sie zuerst entdeckte.
Ich bin nah an das Tier herangeschlichen. Sie hat noch nichts bemerkt. Jetzt muß ich vorschnellen und zugreifen, möglichst dicht hinter ihrem Kopf, denn auch ungiftige Schlangen beißen und hinterlassen schmerzhafte Hautwunden. Sprung, Griff- und schon windet sich der muskulöse Schlangenkörper in meiner Hand, umschlingt den Arm, ringelt sich wild und schnellt peitschend hin und her. Jetzt erst erkenne ich, wie groß diese Schlange ist. Sie an Kopf und Schwanz fassend, hängt der Körper in meinen ausgebreiteten Armen, also ist sie mehr als anderthalb Meter lang! Ein Prachtexemplar! Ich lege mir die Schlange vorsichtshalber nicht um den Hals. Noch ist sie gereizt durch den Fang. Ihren starken Leib durchziehen wellenförmige Muskelbewegungen. Dunkelolivfarben ist der Rücken und grünlich gesprenkelt die Seiten, also könnte es eine gelbgrüne Pfeilnatter sein. Um sicher zu sein, müßte ich die Anordnung ihrer Kopfschilder mit den Angaben in einem Bestimmungsbuch vergleichen. Als ich sie wieder auf den Boden setze und loslasse, zischt sie, ihrem Namen Ehre machend, pfeilschnell davon.
Ein winziges Dorf drängt sich in den Gebirgshang. El Faba. Ein Haus mit blumengeschmücktem Holzaltan gefällt mir besonders. In diesem Moment, als ich es bewundere und mich frage, welche Menschen darin leben mögen, tritt eine hochgewachsene, schlanke Frau mit einem Madonnengesicht aus der niedrigen Tür. Ihre Augen sind blau und strahlend. Ich bedaure, vorbeigehen zu müssen, gern würde ich diese Frau kennenlernen, doch mir fällt nichts ein, um sie anzusprechen. Als hätte sie meine Gedanken erraten, fragt sie mich, ob ich eine Weile in ihrem Haus rasten wolle, es sei doch gerade die heißeste Stunde des Tages. Dankbar, in der Nähe der sympathischen Frau sein zu können, folge ich ihr. Sie zeigt mir das Haus. Es sei über 300 Jahre alt und immer im Besitz ihrer Vorfahren gewesen.
Die Mauern und Holzbalken in der Küche sind vom Kochen auf offenem Feuer geschwärzt, es ist eine schier unlösbare Schicht, sagt sie, wie schwarzer Lack. In der Küche steht ein gemauerter Backofen. María öffnet die eiserne Ofentür und holt warmes Brot heraus.
»Ich habe es gerade frisch gebacken, kosten Sie mal. Dann wissen Sie, wie richtiges Brot schmeckt«, sagt sie selbstbewußt.
Ich muß auch die Wurst und den Wein probieren. Sie erzählt mir von ihrem Leben hier oben. Alles macht sie selbst, braucht nichts zu kaufen, außer Zucker, Salz, Kaffee. Im Winter seien sie wochenlang völlig eingeschneit. Niemand kommt herauf und keiner herunter. Ihr gefalle es so, wie es ist, sie wolle kein anderes Leben. Ihre zwei erwachsenen Söhne leben noch bei ihr. Sie sind hier verwurzelt und möchten nicht woanders hin. Aber sie finden keine Frauen, die mit ihnen das harte Dasein teilen wollen. Zwei Stunden bin ich geblieben; ich habe kaum gemerkt, wie die Zeit vergangen ist. Ich spüre eine innige Übereinstimmung mit María, wie man es nur selten erlebt. Ich trete aus
Weitere Kostenlose Bücher