Der Judas-Code: Roman
Haarsträhne hinters Ohr und simulierte mit klopfendem Herzen Erschöpfung. »Ich habe die Werte einer Lumbalpunktion benötigt. Aber...« Sie zeigte zum Rechner. »Bei dem Blitzeinschlag hat sich der Prozessor verabschiedet. Bevor ich mich schlafen lege, wollte ich mir noch mal die Untersuchungsergebnisse ansehen.«
»Weshalb haben Sie nicht einen der Pfleger gebeten, die Werte aus Dr. Pollums Büro zu holen?«
»Da ist niemand. Ich dachte, Sie könnten das Ganze vielleicht etwas beschleunigen.«
Devesh seufzte. »Mach ich. Ich wollte gerade auf mein Zimmer gehen. Ich werde unten anrufen und Pollum beten, Ihnen einen Ausdruck zu schicken.«
»Ich danke Ihnen.«
Devesh wandte sich ab, blieb an der Schwelle aber stehen und drehte sich wieder zu ihr um.
Lisa straffte sich.
»Auf der Cocktailparty haben Sie richtig hübsch ausgesehen. Geradezu umwerfend.«
Lisa versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »D-danke.«
Dann war er weg.
Ein wenig mitgenommen eilte Lisa an Susans Bett. Sie beugte sich über sie und flüsterte ihr ins Ohr. »Ich werde jetzt die Sensoren und Schläuche entfernen. Wir verschwinden von hier.«
Susan nickte. Mit den Lippen formte sie ein leises »Danke«. Als Lisa den Infusionskatheter entfernte, bemerkte sie die Tränenspuren, die sich von den Augenwinkeln zum Kissen zogen. Zuvor hatte sie Susan vom Schicksal ihres Mannes berichtet. Devesh hatte ihr den Autopsiebericht zu lesen gegeben.
Sie drückte der Frau aufmunternd die Schulter.
Zum Glück hatte Devesh ihre glitzernden Tränen nicht bemerkt.
20:25
Monk rannte an der Steuerbordreling entlang und duckte sich vor dem windgepeitschten Regen. Nur ein paar Lichtpfützen erhellten das dunkle Deck. Schwarze Wolken wogten über das riesige Tarnnetz hinweg. Blitze zuckten, als fänden in der Ferne irgendwo Kampfhandlungen statt. Nahezu unablässig grollte der Donner.
Nach der ersten Besprechung mit Lisa hatte Monk die entsprechende Decksregion erkundet und alles Nötige vorbereitet. Allerdings hatte er keine Zeit gehabt, einen zweiten Bootsmannsstuhl vorzubereiten. Er würde die beiden Frauen nacheinander hochziehen müssen.
Folglich benötigte Monk mehr Muskelkraft.
Hinter ihm stapfte Ryder, wie Monk in Piratentracht.
Das Auftanken des Bootes würde warten müssen.
»Hier entlang!«, übertönte Monk das Prasseln des Regens und das Heulen des Winds.
Ein Liegestuhl schlitterte vorbei. Der Wind nahm weiter zu. Wenn sie dem Taifun ein Schnippchen schlagen wollten, mussten sie binnen einer Stunde von hier verschwinden.
In der Höhe flatterte und klapperte das Tarnnetz.
Monk hatte die Stelle erreicht, wo er ein Seil und einen Bootsmannsstuhl aus der Notausrüstung des Schiffes deponiert hatte. Er zeigte darauf.
»Führen Sie das Seil um die Reling!«, brüllte er und beugte sich vor.
Er blickte in die Tiefe. Aufgrund der Wölbung des Schiffsrumpfs konnte er nicht weit sehen, doch zwei Etagen tiefer sollte sich der Balkon der Kabine befinden, in der Lisa ihre Patientin pflegte. Das war der Fluchtweg.
Weiter unten reflektierte die dunkle Lagune die wenigen Lichter des Schiffes. Das Wasser kräuselte sich nur schwach, denn aufgrund der hohen Wände des Vulkankraters war es vor dem Sturm geschützt. Als Monk sich zu Ryder umdrehte, bemerkte er etwas Helles im Wasser. Keine Oberflächenreflexe, sondern Leuchterscheinungen in der Tiefe. Hellblau und feuerrot.
Was zum Teufel war das nun wieder?
Ein Blitz schlug in das Tarnnetz ein und erhellte die Lagune. Der Donnerschlag war so laut, dass Monk sich unwillkürlich duckte. An der Einschlagstelle tanzten blaue Funken wie Elmsfeuer an den Stahlstreben des Netzes entlang. Das Gebilde war anscheinend geerdet und verhielt sich wie ein gigantischer Blitzableiter.
Ryder trat zu ihm an die Reling. Er hatte sich die Seilschlingen über die Schulter gelegt und warf den Bootsmannsstuhl über die Reling. Er ließ ihn bis zu Lisas Balkon hinab, wo er im böigen Wind hin und her pendelte.
»Ich gehe runter und sichere die Kabine!«, schrie Monk ihm ins Ohr. »Dann befördern Sie meinen Arsch wieder hier rauf. Wir müssen die Frauen gemeinsam hochziehen.«
Ryder nickte. Er kannte den Plan. Monk hatte alles noch einmal wiederholt, um ihm eine letzte Chance zu geben, an seiner Stelle nach unten zu gehen.
Ryder war nicht darauf eingegangen.
Ein kluger Mann. Kein Wunder, dass er es bis zum Milliardär gebracht hatte.
Monk packte das Seil, kletterte über die Reling, verhakte das Bein und schwang
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