Der Judas-Code: Roman
Wade gerammt.
So beobachtete er, wie der Meerespfeil auf die Öffnung im Vulkankegel zuraste, durch die man aufs offene Meer gelangte.
Ryder hatte die Motoren nicht gedrosselt. Er hatte Verständnis für Monks Opfer.
Während die Explosionen am Inselrand entlangwanderten, blickte Monk in die Höhe. Das Tarnnetz war bereits bedrohlich abgesackt. An der anderen Seite der Lagune fiel es wie ein brennendes Totenhemd auf die Mistress of the Seas herab, legte sich erst aufs Heck, dann auf den Bug.
In Sekundenschnelle war das Kreuzfahrtschiff darunter begraben, gefangen wie ein Delfin im Thunfischnetz. Und der Einsturz ging weiter. Die herabfallenden Trümmer wanderten auf Monk zu. Es war völlig ausgeschlossen, dass er den Strand rechtzeitig erreichen würde. Bis dorthin waren es fünfhundert Meter.
Der Meerespfeil hob unterdessen von der Lagune ab und flog auf die Öffnung im Vulkankegel zu.
Ryder würde es schaffen.
Dieser Gedanke half ihm, die Nerven zu behalten, als ein Teil des Netzes mitsamt der Stahltrossen und der mit Regenwasser vollgesogenen Taue auf ihn herabstürzte. Es zog ihn mit sich in die Tiefe, immer tiefer hinab...
Monk bemühte sich verzweifelt, wieder an die Oberfläche zu
kommen. Das gebrochene Bein behinderte ihn jedoch. Außerdem hatte sich das Netz teilweise zusammengefaltet. Er fand keinen Ausweg.
Er blickte zu den Lichtern des Kreuzfahrtschiffs empor.
Er bedauerte nur eines... sein gebrochenes Versprechen...
Er hatte Kat feierlich gelobt, dass er von diesem Einsatz zurückkehren würde, und das Versprechen damit besiegelt, dass er Penelope küsste.
Es tut mir leid...
In der verzweifelten Hoffnung auf Rettung streckte er den Arm nach oben.
Seine Hand stieß in ein Loch im verhedderten Netz. Mit dem Armstummel erweiterte er es. Ohne sich um die Schmerzen in der rechten Wade zu scheren, machte er Schwimmbewegungen mit beiden Beinen und schaffte es, sich durchs Loch zu schlängeln.
Dann stieß etwas gegen sein gebrochenes Bein, verfing sich am Knöchel und zog fest daran. Knochen rieb knirschend an Knochen. Der Schmerz schoss bis in die Wirbelsäule. Monk stieß den letzten Rest Atemluft aus und blickte nach unten.
Leuchterscheinungen näherten sich aus der Tiefe.
Fangarme wanden sich um seinen Leib, schlängelten sich um Hüfte und Brust. Ein gummiartiger Arm legte sich auf sein Gesicht und auf die Lippen, die einmal ein Versprechen abgegeben und ein Kind geküsst hatten.
Inmitten von Lichtblitzen wurde Monk immer tiefer hinabgezogen.
Ein letztes Mal blickte er sehnsüchtig in die Höhe.
Als die Lichter des Kreuzfahrtschiffs verblassten und es dunkel um ihn wurde, wanderten seine Gedanken zu den beiden Frauen, die seinem Leben einen Sinn gegeben hatten.
Zu Kat und Penelope.
Ich liebe euch, liebe euch, liebe euch...
06:05
Die Arme auf die Knie gestützt, saß Lisa auf der hinteren Sitzbank des Meerespfeils und schluchzte.
Neben ihr saß Susan, die ihr tröstend die Hand auf den Rücken gelegt hatte.
Keiner sagte etwas.
Ryder, der den Meerespfeil übers offene Wasser steuerte, hatte mit den Böen zu kämpfen. Die Insel Pusat fiel hinter ihnen zurück.
Das Flugboot schwankte wie ein Blatt im Wind. Es hatte keinen Sinn, gegen den Sturm anzukämpfen. Deshalb flogen sie einfach mit dem Wind nach Norden.
Das Funkgerät war von einem Querschläger getroffen worden und funktionierte nicht mehr.
»Die Sonne geht auf«, murmelte Susan, die aus dem Fenster blickte, ohne die Navigationskarte auf ihrem Schoß zu beachten.
Ihre Bemerkung brach den Bann.
»Vielleicht hat er es ja bis ans Ufer geschafft«, sagte Ryder vom Pilotensitz aus.
Lisa richtete sich auf. Sie wusste, dass Monk es nicht geschafft hatte. Trotzdem wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Monk hatte sich geopfert, um ihnen die Flucht zu ermöglichen. Um den Überlebenden der Mistress of the Seas die Aussicht auf Rettung und der ganzen Welt die Hoffnung auf ein Heilmittel zu bewahren.
Trotzdem fühlte Lisa sich benommen und wie gelähmt.
»Die Sonne...«, sagte Susan.
Als Ryder einem Berg auswich, legte sich das Flugzeug auf die Seite. Der Horizont kündete vom Ende des Sturms. Die schwarzen Unwetterwolken hatten sich geteilt, und durch die Lücke fielen Sonnenstrahlen. Die Sonne lugte über den Horizont.
Warmer Sonnenschein strömte durch die Windschutzscheibe in die Kabine.
Lisa suchte eine Absolution darin, badete im Licht und nahm es in sich auf, um die Finsternis in ihrer Seele zu
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