Der Judas-Code: Roman
sie in Sicherheit bringen.«
»Die Gilde wird alles daransetzen, ebendas zu verhindern. Das hat sie bereits deutlich gemacht. Um die Überläuferin zu eliminieren, haben sie in Kauf genommen, dass wir von der Unterwanderung erfahren. Ein hoher Preis. Und sie haben ihre besten Agenten eingesetzt. Spitzenleute, genau wie Seichan.«
»Ich habe das Video von dem Mann an der konspirativen Wohnung gesehen. Lesen Sie mal sein Dossier.« Sean verzog das Gesicht.
Painter hatte es bereits gelesen. Der Schlächter von Kalkutta. Seine Herkunft und seine wahren Absichten lagen im Dunkeln. In der Vergangenheit hatte er sich wahlweise als Inder, Pakistani, Iraker, Ägypter oder Libyer ausgegeben. Wenn Seichan ein männliches Pendant hatte, dann war es dieser Mann.
»Einen Hinweis haben wir«, sagte Painter. »Wir konnten seinen Namen aus der Aufzeichnung heraushören, Nasser. Mehr war nicht zu erwarten.«
Sean winkte ab. »Er benutzt ebenso viele Decknamen, wie er Menschen mordet. Seine Blutspur reicht um die ganze Welt. Die meisten Untaten hat er in Nordafrika und im Mittleren und Nahen Osten verübt. Erst in letzter Zeit wagt er sich weiter in den Mittelmeerraum vor. In Griechenland hat er einen Archäologen erdrosselt, in Italien einen Museumskurator getötet.«
Painter merkte auf. »In Italien? Wo genau?«
»In Venedig. Der Kurator wurde im Verlies des Dogenpalasts tot aufgefunden. Nasser - oder wie immer er heißen mag - wurde von den Überwachungskameras auf der Piazza gefilmt.«
Painter rieb sich das Kinn so fest, dass die stoppelige Haut zu brennen begann. »Ich wurde vor Kurzem von Monsignor Verona aus dem Vatikan angerufen. Die Einzelheiten stehen im Lagebericht. Es sieht so aus, als wäre Seichan um die Zeit herum ebenfalls in Italien tätig gewesen.«
Seans Augen verengten sich. »Interessant. Dieses zeitliche Zusammentreffen sollten wir eingehender untersuchen. Beide Agenten
waren in Italien. Jetzt halten sie sich hier auf. Der eine jagt die andere. Zwei Spitzenleute, die besten der Gilde. Es sieht so aus, als hätte Nasser uns Seichan in die Arme getrieben.«
Oder in Grays Arme , setzte Painter im Stillen hinzu.
»Wir müssen die Frau in Gewahrsam nehmen. Und zwar unverzüglich. Diese Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen.«
Painter war sich über den Ernst der Lage im Klaren, doch er kannte auch Gray und wusste, wie dessen Verstand funktionierte. Grays Paranoia war ebenso stark entwickelt wie die seine.
»Sir, Commander Pierce ist auf der Flucht. Nachdem er bei der konspirativen Wohnung in einen Hinterhalt geraten ist, kann er sich denken, dass es bei uns eine undichte Stelle gibt. Er wird versuchen, mit Seichan unterzutauchen und sich so lange bedeckt zu halten, bis er sich ungefährdet wieder hervorwagen kann.«
»So lange können wir nicht warten. Nicht wenn der Schlächter von Kalkutta hinter ihnen her ist.«
»Was soll ich tun?«
»Commander Pierce muss aufgespürt und zusammen mit der gegnerischen Agentin hierhergebracht werden. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Suche auszuweiten und die Polizei und das FBI einzuschalten. Wir müssen verhindern, dass er untertaucht.«
»Sir, es wäre mir lieber, wir würden es Commander Pierce überlassen, wie er auf die Situation reagieren will. Je mehr Kräfte wir auf ihn konzentrieren, desto eher machen wir Nasser auf ihn aufmerksam.«
»In diesem Fall würden wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Painter vermochte seine Bestürzung nicht zu verhehlen. »Indem wir Gray als Köder benutzen.«
Seans Blick war ernst. Seine Haltung wirkte steif. Painter fielen wieder das Sakko und das frisch gebügelte Hemd ins Auge. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er heute Morgen nicht Seans erster Gesprächspartner war.
»Die Entscheidung wurde vom Heimatschutz getroffen und vom Präsidenten abgesegnet. Sie kann nicht rückgängig gemacht werden.« Sean schlug einen energischeren Ton an. »Gray und die Gildenagentin
müssen aufgespürt und notfalls mit Gewalt hierhergebracht werden.«
Painter wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Widerrede kam auch nicht in Frage. Der Fall hatte eine ungeahnte Dimension angenommen. Er nickte zögerlich. Er würde kooperieren.
Doch er kannte Gray.
Von zwei Seiten gejagt, würde er zu ungeahnter Form auflaufen.
Er würde sich unsichtbar machen.
03:04
»Unten in der Lobby gibt es ein Starbucks«, brummte Kowalski. »Vielleicht hat es ja geöffnet. Möchte jemand einen Becher Kaffee?«
»Wir bleiben
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