Der Judas-Code: Roman
Suite ein. Ein kleiner Umtrunk.«
»Aus welchem Anlass?«
»Wir laufen einen Hafen an«, antwortete Devesh und nahm seinen Stock. »Wir sind fast schon da.«
Lisa war nicht nach Feiern zumute. »Ich habe hier viel zu tun.«
»Unsinn. Sie kommen. Es wird nicht lange dauern, und es wird Ihnen helfen, Ihre Batterien aufzuladen. Also, die Sache ist entschieden. Ich lasse Sie von Rakao abholen. Bitte denken Sie an passende Kleidung.«
Gefolgt von Surina ging er hinaus.
Lisa sah ihnen kopfschüttelnd nach.
Dann wandte sie sich dem Bett zu.
Dr. Susan Tunis.
»Es tut mir leid«, murmelte sie.
Wegen ihrem Mann und wegen dem, was sie erwartete.
Ihr kamen wieder die Parallelen zwischen ihren Lebenswegen in den Sinn. Sie dachte an Susans Mann, wie er mit blutunterlaufenen Augen tobte. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und wünschte zum tausendsten Mal, sie wäre daheim bei Painter.
Heute Morgen hatte sie mit ihm telefoniert. Zum verabredeten Termin. Wohlweislich hatte sie diesmal auf alle Tricks verzichtet und ihm gesagt, alles sei in Ordnung. Trotzdem war sie in Tränen aufgelöst gewesen, als man sie aus dem Funkraum gezerrt hatte.
Sie wollte, dass er sie in die Arme schloss.
Doch es gab nur einen Weg, ihr Überleben zu sichern.
Sie musste sich nützlich machen.
Sie trat vor das Instrumententablett und nahm den Augenspiegel in die Hand. Vor der Cocktailparty wollte sie noch einer Anomalie nachgehen, die sie Devesh gegenüber nicht erwähnt hatte.
Einer Anomalie, die es eigentlich nicht hätte geben dürfen.
02:02
Washington, D. C.
Knapp verfehlt.
Zu ungeduldig, um auf den Lift zu warten, stürmte Painter mit großen Sätzen die Treppe zur Lobby des Phoenix Park Hotel hinunter. Das Zimmer 334 wurde noch von der Spurensicherung von Sigma untersucht. Er hatte zwei FBI-Leute dort gelassen, die sich mit der örtlichen Polizei stritten.
Ein beschissener Zuständigkeitsstreit.
Das war Wahnsinn.
Painter jedenfalls bezweifelte, dass man dort verlässliche Spuren finden würde.
Vor einer Stunde war er im Schlafsaal der Sigma-Kommandozentrale aus einem Nickerchen geweckt worden. Es hatte sich endlich eine Spur ergeben. Eine Medikamentenbestellung für Jackson Pierce. Die Sozialversicherungsnummer hatte gestimmt. Das war der erste Erfolg, seitdem Gray nach der Zerstörung der konspirativen Wohnung mitsamt seinen Begleitern untergetaucht war. Painter hatte das Suchnetzwerk der NSA mit allen Decknamen Grays sowie den Namen seiner Eltern gefüttert.
Painter hatte ein Einsatzteam zu der Apotheke geschickt und sich einem zweiten Team angeschlossen, das die Lieferadresse aufsuchte. Das Phoenix Park Hotel. Die Apotheke hatte die Bestellung bestätigt, doch der Bote war noch nicht wieder zurückgekehrt. Über Handy war er bislang nicht zu erreichen gewesen. Die Apotheke hatte bereits im Hotel nachgefragt, doch im fraglichen Zimmer hatte niemand abgehoben.
Als sie dort eintrafen, sah Painter, weshalb niemand drangegangen war. Das Zimmer war leer. Die Personen, die sich darin
aufgehalten hatten, waren verschwunden. Im Gästebuch hatten sich Red und Ginger Rogers eingetragen, dem Empfangschef zufolge ein älteres Ehepaar. Sie waren allein gewesen und hatten bar bezahlt. Gray war offenbar nicht bei ihnen gewesen. Außerdem hätte Gray den eklatanten Fehler vermieden, ein Medikament zu bestellen und damit Alarm auszulösen.
Was aber hatte seine Eltern veranlasst, ein solches Risiko einzugehen? Harriet war eine intelligente Frau. Offenbar hatten sie das Medikament dringend benötigt. Warum aber hatten sie nicht gewartet? Was hatte sie bewogen, abermals unterzutauchen? War es eine Finte? Wollte man sie auf eine falsche Fährte locken?
Painter wusste es besser. Gray hätte seine Eltern niemals leichtfertig für seine Zwecke eingespannt. Er hätte sie irgendwo unter falschem Namen untertauchen lassen und dafür gesorgt, dass sie die Köpfe einzogen. Nichts weiter. Irgendwas stimmte da nicht. Niemand hatte das ältere Ehepaar weggehen sehen.
Und dann war da noch der überfällige Apothekenbote.
Painter trat durch die Treppenhaustür in die Lobby.
Der diensthabende Empfangschef nickte ihm zu und fuchtelte mit den Händen. »Ich habe das Überwachungsvideo der Lobbykamera.«
Er geleitete Painter ins Büro. In einem Aktenschrank stand ein Fernseher mit eingebautem Videorekorder.
»Starten Sie die Wiedergabe vor einer Stunde«, sagte Painter und sah auf die Uhr.
Der Hotelmanager schaltete das Videogerät ein und spulte
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