Der jüdische Krieg.
feierlichen, viel zu weiten Gewändern. Sein Gesicht wird launisch, bösartig, kindisch. Er kehrt sich ab. Im Begriff zu gehen, über die Schulter hin, sagt er zu den Priestern: »Ich hätte Ihnen Ihr Leben vielleicht geschenkt, meine Herren, um Ihres Tempels willen. Aber nachdem Ihr Gott offenbar nicht gesonnen ist, seinen Tempel zu erhalten, ziemt es Ihnen als Priester, mit diesem Tempel unterzugehen. Habe ich nicht recht, meine Herren?« Er ging, und die Profose bemächtigten sich der Priester.
Wie die andern Priester hatte sich der alte Doktor Nittai, nachdem er seine Gläubigen in den Tempel geführt hatte, ernst und zuversichtlich an die Verrichtungen seines Dienstes gemacht. Die Flammen brachen hervor, sein altes, mürrisches Gesicht lächelte. Er hatte gewußt, heute wird ein Zeichen kommen. Als das Tempelhaus brannte, war er nicht wie die andern durch die Höfe geflohen, vielmehr stiegen er und die acht Priester um ihn die Treppen des Tempelhauses hinauf. Es war gut, zu steigen, jetzt war man noch in einem von Menschenhänden gefügten Bau, aber gleich wird man oben sein, unterm Himmel, nahe bei Jahve. Und nun waren sie auf dem Dach, auf dem höchsten First des Tempels, unter ihnen waren die Flammen und die Römer. Das Geschrei der Sterbenden, der grobe Gesang der Legionen tönte zu ihnen herauf, von der Oberstadt her gellte das weiße Geheul. Da kam der Geist über die auf dem First, der Hunger schuf ihnen Gesichte. Schaukelnd, im Takt, im vorgeschriebenen Singsang sagten sie Kriegs- und Siegeslieder der Schrift auf. Rissen die goldenen Spieße, die zur Abwehr der Vögel auf dem Dach des Tempels angebracht waren, heraus und schleuderten sie gegen die Römer. Sie lachten, sie waren über den Flammen, und über ihnen war Jahve, und sie spürten seinen Hauch. Als die Stunde des Priestersegens kam, hoben sie die Hände und spreizten die Finger, wie es Vorschrift war, und riefen durch die prasselnden Flammen den Priestersegen und das anschließende Bekenntnis; es war ihnen leicht und heilig zumut.
Als sie zu Ende waren, nahm Nittai die schweren Schlüssel des Großen Tempeltors, hielt sie hoch, daß alle um ihn sie sahen, und rief: »O Jahve, du hast uns nicht würdig befunden, dein Haus zu verwalten. O Jahve, nimm die Schlüssel zurück.« Und er warf die Schlüssel in die Höhe. Und er rief: »Seht ihr, seht ihr die Hand?« Und alle sahen, wie aus dem Himmel eine Hand kam und die Schlüssel auffing.
Dann krachte das Gebälk, es stürzte das Dach, und sie fanden, daß sie einen begnadeten Tod starben.
Kurz vor dem Mittag hatte Pedan die Fackel geworfen. Nachmittags fünf Uhr brannte bereits der ganze Berg. Der erste Feuerposten, den Titus hatte errichten lassen, sah den Brand, und sowie die Dämmerung kam, gab er sein Signal: der Tempel ist gefallen. Und es entzündete sich das nächste Feuer, und das übernächste, und im Lauf einer Stunde wußte es ganz Judäa, ganz Syrien.
In Jabne erfuhr es der Großdoktor Jochanan Ben Sakkai: der Tempel ist gefallen. Der kleine Uralte zerriß seine Kleider und streute Asche auf sein Haupt. Aber noch für die gleiche Nacht berief er eine Sitzung ein.
»Bis heute«, verkündete er, »hat der Große Rat von Jerusalem Kraft gehabt, das Wort Gottes zu deuten, zu bestimmen, wann die Zeiten beginnen, wann der Mond neu ist, wann voll, was Recht ist und was Unrecht, was heilig und was unheilig, zu binden und zu lösen. Von heute an hat der Rat von Jabne diese Befugnis.
Unsere erste Aufgabe ist, festzusetzen, wie die Grenzen der Heiligen Schrift laufen. Der Tempel ist nicht mehr, unser ganzes Reich ist jetzt die Schrift. Ihre Bücher sind unsere Provinzen, ihre Sätze unsere Städte und Dörfer. Bis heute war Jahves Wort mit Menschenwort gemischt. Jetzt gilt es, aufs Jota zu begrenzen, was zur Schrift gehört, was nicht.
Unsere zweite Aufgabe ist, den Kommentar der Doktoren dauerhaft zu machen für die Zeiten. Bis heute lag der Fluch darauf, den heiligen Kommentar anders weiterzugeben als von Mund zu Mund. Wir lösen diesen Fluch. Wir wollen die sechshundertdreizehn Gebote aufzeichnen auf gutem Pergament, wo sie anfangen und wo sie aufhören, sie umzäunen und untermauern, daß Israel für die Ewigkeit darauf stehen kann.
Wir einundsiebzig sind jetzt alles, was vom Reiche Jahves geblieben ist. Reinigt euer Herz, daß wir ein Reich seien, dauernder als Rom.«
Sie sagten amen. Sie bestimmten noch in dieser Nacht: vierundzwanzig Bücher
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