- Der Jünger des Teufels
nun
darüber sprach. »Und wie war die Beziehung zwischen den beiden?«
Yeliz
zuckte mit den Schultern. »Sie war immer schwierig. Constantine verabscheute
unseren Vater und hielt ihn für dumm. Es gab ständig Streit zwischen ihnen. Eines Tages brach im Keller
der Metzgerei ein Feuer aus. Nachbarn halfen beim Löschen, und dann wurden die
Überreste meines Vaters und meiner Schwester im Kühlraum entdeckt. Ihre Leichen
waren stark verbrannt und in Stücke gehackt. Alles deutete auf Raubmord hin. Aus
dem Laden war Geld gestohlen worden, und es fehlten persönliche
Wertgegenstände. Auf Constantine fiel kein Verdacht, doch er wurde wie ich im
Zuge der Ermittlungen verhört. Die Tat wurde erst aufgeklärt, als Constantines
Mordserie in den USA ein Ende gesetzt wurde. Über seine späteren Taten habe ich
meine eigene Theorie.«
»Und die wäre?«
»Es bereitete ihm perverse Freude, meinen Vater und meine Schwester
zu ermorden. Und ich glaube, er strebte danach, diesen … Genuss durch das Töten
weiterer Opfer mit einem ähnlichen Profil in ähnlicher Umgebung noch einmal zu
erleben. Mir kommt es so vor, als wären alle seine Morde Wiederholungen seiner
ersten Morde. Stimmen Sie mir zu?«
Ich nickte. »Es ist typisch für Serienkiller, ein
Verbrechen zu wiederholen und es sozusagen zu perfektionieren, um immer größere
Lust zu verspüren.«
Wir hatten nun den Tatort erreicht. Ich sah einen alten
verwitterten Granitblock, der als Sitz diente und mit Blut bespritzt war. Ich
drehte mich zu Yeliz um, die sich über die Augen wischte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich sie.
»Ich musste gerade an die furchtbaren Schmerzen denken, die
die Opfer erleiden mussten. Als Inspektor Uzun es mir erzählte, war ich
entsetzt. Es ist schrecklich.«
Ich strich ihr über den Arm. »Der Anruf, den Sie erhalten haben,
scheint Sie auch sehr mitgenommen zu haben?«
Yeliz war noch immer verwirrt. »Ja, es war sonderbar. Ich konnte
es nicht fassen. Der Anrufer hatte dieselbe Stimme wie Constantine.«
»Aber Sie hatten seit mindestens zehn Jahren nichts von Ihrem
Bruder gehört. Wie können Sie da sicher sein, dass es seine Stimme war?«
Yeliz schauderte. »Ja, eigentlich ist es unmöglich. Aber … es
war unheimlich. Ich konnte seine Boshaftigkeit förmlich durch die Leitung spüren, und ich war so überzeugt davon, Constantines Stimme zu hören, dass ich fast
hysterisch wurde. Aber Constantine ist tot, also muss jemand anders mich
angerufen haben. Vielleicht jemand, der einen Groll gegen mich hegt.«
»Einen Groll?«
»Constantine hat unendlich viel Leid verbreitet. Ich könnte
mir gut vorstellen, dass es der Racheakt des Angehörigen eines seiner Opfer
war. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
»Glauben Sie wirklich, jemand wollte Ihnen Angst einjagen, indem
er Ihnen vorgaukelt, Ihr Bruder würde noch leben?«
Yeliz nickte. »Ja, das glaube ich.« Sie wandte sich dem
Tatort zu. »Wegen dieser Morde haben Sie die lange Reise nach Istanbul auf sich
genommen?«
»Nein, es steckt mehr dahinter.«
»Und was?«
Ich beschloss, Yeliz alles zu sagen. Als ich verstummte,
war sie zunächst sprachlos. »Warum sollte jemand die Morde meines Bruders nachahmen?«,
fragte sie dann.
»Keine Ahnung.« Ich atmete tief ein, ehe ich meine nächste Vermutung
äußerte: »Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber … aber es besteht eine
geringe Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Bruder die Hinrichtung überlebt hat.«
Yeliz wurde aschfahl. »Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das
ist absurd!«
»Ich weiß. Ich habe ihn sterben sehen. Ich habe gehört,
dass er für tot erklärt wurde. Aber diese neuen Morde stellen mich vor ein
Rätsel. Ich frage mich allmählich, ob Ihr Bruder dem Tod durch ein Gegenmittel
entgehen konnte. Sie sind Biochemikerin. Halten Sie so etwas für möglich?«
Yeliz war noch immer leichenblass. »Jedenfalls gibt es für
fast alle tödlichen Gifte Gegenmittel.«
»Sie meinen, Ihr Bruder könnte überlebt haben?«
Yeliz schaute auf die Wasserbecken, als sie über meine
Frage nachdachte. »Sie machen mir Angst, Miss Moran. Ich habe nur gesagt, dass
es theoretisch möglich wäre und dass Gegengifte hergestellt werden können.« Sie
verstummte, dachte nach und fügte stirnrunzelnd hinzu: »Da gibt es noch etwas,
das Sie wissen sollten. Als wir Kinder waren, konnte Gemal seinen Herzschlag so
stark verlangsamen, dass man glauben konnte, er wäre tot.«
» Wie bitte? «
»Ja, er war sehr sportlich und schwamm jeden Tag
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