Der Jünger
ihn echt an, total. Er wusste nicht so richtig, was er davon halten sollte, dass sie den Rest der männlichen Bevölkerung ebenso antörnte. Dann seufzte er. Mein Gott, es hatte ihn schwer erwischt. Selbst ihm fiel auf, dass er eben wie ein richtiger Macho reagiert hatte.
“Kommt mit”, sagte er und blickte über die Schulter zu dem Mann auf dem Rücksitz. “He, Mitchell, sollen wir irgendwas tragen helfen?”
“Nein, nicht nötig”, erwiderte der Zeichner und stieg mit einer dünnen Mappe in der Hand aus.
Ben ging auf January zu, ohne auf die beiden Männer, die ihm folgten, zu achten.
“Hallo”, begrüßte er sie leise.
“Auch hallo”, flüsterte sie, dann setzte sie ihr offizielles Gesicht auf. “Danke, dass Sie gekommen sind, Detective North.”
“Wir sind es, die dankbar sein sollten, dass Sie uns die Information gegeben haben.” Die anderen beiden standen nun neben ihnen. “Ich denke, Sie kennen meinen Partner, Rick Meeks, und das ist unser Polizeizeichner, Brady Mitchell.”
January nickte ihnen zu. “Meine Herren, wenn Sie mir bitte folgen wollen …”
Sie lief auf das Gebäude zu, die drei Männer im Gefolge. Am Eingang wandte sie sich sofort nach rechts um. Sekunden darauf klopfte sie an die Bürotür, und eine weibliche Stimme forderte sie auf, hereinzukommen.
January betrat den Raum als Erste, dann stellte sie sich neben die drei Männer, als sie vor dem Schreibtisch stehen blieben.
“Meine Herren, das ist Mutter Mary Theresa, das Oberhaupt dieses Asyls der Barmherzigen Schwestern. Das sind Detective North, Detective Meeks und hier der Polizeizeichner Brady Mitchell.”
Die religiöse Erziehung der katholischen Kirche war fast immer eine Erfahrung, die man nie vergaß. Bei zweien der drei Männer kamen plötzlich alte Angstgefühle wieder hoch. Ben allerdings war unter den Methodisten aufgewachsen. Bis auf einen tiefgehenden und anhaltenden Respekt, den er für die Älteren verspürte, gab es keine Kindheitserlebnisse, die ihn noch verfolgten. Er trat vor und streckte die Hand aus.
“Mutter Mary Theresa, lassen Sie mich gleich von vornherein sagen, wie sehr wir es schätzen, dass Sie uns helfen wollen.”
Die kleine Nonne runzelte die Stirn. “Ich möchte einzig und allein January helfen. Sie sucht einen bestimmten Straßenprediger. Vielleicht habe ich ihn gesehen.” Sie sah zu January und zeigte auf die Detectives. “Was hat das alles zu bedeuten? Ich dachte, wir würden lediglich mit einem Zeichner arbeiten.”
January konnte sie nicht anlügen.
“Es besteht die Möglichkeit, dass der Priester, nach dem ich suche, der Mörder von Bart Scofield ist.”
Die Nonne blickte sie bestürzt an. “Sie haben mir nicht gesagt, dass der Mann gefährlich ist.”
“Ich bin mir nicht sicher, ob er das ist”, entgegnete January. “Und wir können es auch nicht wissen, bevor er nicht gefunden und zu einem Verhör gebracht wird. Können wir deshalb jetzt anfangen?”
Mutter Mary T. sah January verärgert an. “Wir reden später darüber”, sagte sie, dann winkte sie den Männern. “Setzen Sie sich. Bringen wir das hinter uns.”
Brady Mitchell schlug seine Mappe auf, holte einen großen Zeichenblock heraus und ein paar Kohlestifte. Er rückte seinen Stuhl neben den von Mutter Mary Theresa hinter dem Schreibtisch. “Es ist einfacher, wenn Sie gleich sehen können, was ich zeichne”, bemerkte er.
Sie stimmte sofort zu.
“Also, begann Brady, “handelt es sich um einen Weißen oder um einen Farbigen?”
“Einen Weißen.”
“Gesichtsform?”
“Irgendwie länglich … Länglich und schmal. Und er hatte eine hohe Stirn und eine leicht gekrümmte Nase.”
Brady nickte, während er den Stift über das Papier fliegen ließ, und hielt dann wieder inne. “Die Augen?”
“Groß, sehr dunkel und groß”, sagte sie. “Mit etwas müde wirkenden Augenlidern”, fügte sie dazu.
“Schlupflider?”, fragte Brady.
“Wie bitte?”
“Waren die Lider verdeckt, vielleicht so ungefähr?”, wollte er wissen, nachdem er die Skizze verändert hatte.
“Ja. Ja, so.”
“Und der Mund?”
Die Nonne runzelte die Stirn. “Daran kann ich mich gar nicht so genau erinnern.”
“Warum nicht?”, wollte Brady wissen.
Mutter Mary T. schlug sich gegen die Stirn. “Wie dumm von mir. Weil er einen Vollbart trug. Deshalb. Und er hatte lange Haare. Etwas wellig.”
“Wie denn ungefähr? So in der Art …?”
Mutter Mary T. betrachtete die Zeichnung, dann lehnte sie sich schockiert
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