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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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selbst so ergeben. Ich hatte sogar recht wohl gemerkt, daß man in der Fanariotowschen Familie sich Wersilows irgendwie schämte; übrigens hatte ich diese Beobachtung nur an Anna Andrejewna gemacht, weiß aber wieder nicht recht, ob man dabei den Ausdruck »sich schämen« gebrauchen kann; jedenfalls war es so etwas Ähnliches. Ich fing manchmal auch von dem Fürsten Sergej Petrowitsch mit ihr zu reden an, und sie hörte sehr aufmerksam zu und interessierte sich, wie mir schien, für diese Nachrichten, aber eigentümlicherweise ging es dabei immer so zu, daß ich sie ihr von selbst mitteilte, sie aber nie danach fragte. Über die Möglichkeit einer Heirat zwischen ihnen beiden hatte ich nie mit ihr zu reden gewagt, obwohl ich es oft gern getan hätte, da dieses Projekt mir selbst in gewisser Hinsicht sehr zusagte. Aber sobald ich ihr Zimmer betrat, verlor ich den Mut, über viele Dinge zu sprechen, und doch fühlte ich mich in ihrem Zimmer sehr wohl. Es gefiel mir an ihr auch sehr,daß sie eine gute Bildung besaß und viel las, sogar sehr gescheite Bücher; sie hatte viel mehr gelesen als ich.
    Das erstemal hatte sie selbst mich aufgefordert, sie zu besuchen. Ich begriff auch damals schon, daß sie vielleicht darauf rechnete, manchmal dies und das von mir herauszubekommen. Oh; damals verstanden sich viele darauf, sehr vieles von mir herauszubekommen! ›Aber was tut das?‹ dachte ich. ›Sie empfängt mich ja nicht allein deshalb.‹ Kurz, ich freute mich sogar darüber, daß ich ihr nützlich sein konnte, und ... und wenn ich bei ihr saß, hatte ich immer im stillen die Empfindung, daß da meine Schwester neben mir saß, obgleich ich unsere Verwandtschaft bei ihr noch nie erwähnt hatte, weder mit einem Wort noch auch nur mit einer Andeutung, als ob eine solche Verwandtschaft überhaupt nicht existierte. Wenn ich bei ihr saß, erschien es mir geradezu undenkbar, davon zu reden, und wirklich, wenn ich sie so ansah, ging mir manchmal der sinnlose Gedanke durch den Kopf, sie wisse vielleicht von dieser Verwandtschaft überhaupt nichts – so schweigsam benahm sie sich in dieser Hinsicht mir gegenüber.

III
     
    Als ich eintrat, fand ich Lisa bei ihr. Das überraschte mich beinah. Es war mir sehr wohl bekannt, daß die beiden schon früher miteinander in Berührung gekommen waren; das war bei dem »Säugling« geschehen. Von der wunderlichen Laune der stolzen, schamhaften Anna Andrejewna, dieses Kind zu sehen, und von ihrer dortigen Begegnung mit Lisa werde ich vielleicht später mehr erzählen, wenn ich Raum dazu finde; aber trotzdem hatte ich in keiner Weise erwartet, daß Anna Andrejewna einmal Lisa zu sich einladen würde. Das berührte mich angenehm. Natürlich ließ ich mir davon nichts merken, begrüßte Anna Andrejewna, drückte Lisa warm die Hand und setzte mich neben diese. Beide waren mit einer wichtigen Sache beschäftigt: auf dem Tisch und auf ihren Knien lag ein teures Ausgehkleid Anna Andrejewnas, das aber schon alt, das heißt dreimal getragen war und das sie daher irgendwie geändert haben wollte. Lisa war auf diesem Gebiet einegroße Meisterin und besaß viel Geschmack, und so fand denn nun eine feierliche Beratung der »klugen Frauen« statt. Ich mußte an Wersilow denken und fing an zu lachen; ich war auch sowieso schon in glänzender Gemütsverfassung.
    »Sie sind heute sehr vergnügt, und das ist sehr hübsch«, sagte Anna Andrejewna würdevoll, indem sie jedes Wort besonders aussprach. Ihre Stimme war ein tiefer, klangvoller Alt, aber sie sprach immer ruhig und leise, wobei sie ihre langen Wimpern etwas senkte und ein ganz leises Lächeln über ihr blasses Gesicht hinhuschte.
    »Lisa weiß, was ich für ein gräßlicher Mensch bin, wenn ich mich nicht in vergnügter Stimmung befinde«, antwortete ich fröhlich.
    »Vielleicht weiß auch Anna Andrejewna davon«, neckte mich Lisa schelmisch. Das liebe Ding! Wenn ich gewußt hätte, wie es damals in ihrer Seele aussah!
    »Was tun Sie jetzt?« fragte Anna Andrejewna. (Ich bemerke, daß sie mich ausdrücklich ersucht hatte, sie an diesem Tag zu besuchen.)
    »Ich sitze jetzt hier und frage mich, warum es mir immer angenehmer ist, Sie mit einem Buch zu finden als mit einer Handarbeit. Nein, wirklich, eine Handarbeit steht Ihnen irgendwie nicht. In dieser Beziehung bin ich mit Andrej Petrowitsch einer Meinung.«
    »Haben Sie sich immer noch nicht dazu entschlossen, die Universität zu besuchen?«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie unsere früheren

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