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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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daß das alles sich nicht so verhält, sondern nur ein Scherz war. Aus erster Hand weiß ich das. Sie hat einmal dort im Ausland in einem scherzhaften Augenblick tatsächlich gesagt: ›Vielleicht später‹; aber das konnte doch eben nur als ein leicht hingeworfenes Wort aufgefaßt werden. Ich weiß genau, daß der Fürst seinerseits einem solchen Versprechen keinerlei Bedeutung beimessen kann und daß er es auch gar nicht beabsichtigt«, fügte ich, das Fehlerhafte dieses Ausdrucks gewahr werdend, hinzu. »Er hat, glaube ich, ganz andere Absichten«, schaltete ich listig ein. »Vorhin hat Naschtschokin bei ihm gesagt, Katerina Nikolajewna werde den Baron Bjoring heiraten; Sie können mir glauben, daß er diese Mitteilung mit der größten Seelenruhe anhörte, davon können Sie überzeugt sein.«
    »War Naschtschokin bei ihm?« fragte plötzlich Anna Andrejewna nachdrücklich und anscheinend erstaunt.
    »Jawohl; er scheint ein anständiger Mensch zu sein ...«
    »Und Naschtschokin hat mit ihm über diese Heirat mit Bjoring gesprochen?« fragte Anna Andrejewna höchst interessiert.
    »Nicht eigentlich von der Heirat, sondern nur so von der Möglichkeit, gerüchtweise; er sagte, in der Gesellschaft sei ein solches Gerücht verbreitet. Was mich betrifft, so bin ich überzeugt, daß es Unsinn ist.«
    Anna Andrejewna dachte einen Augenblick nach und beugte sich über ihre Näherei.
    »Ich habe den Fürsten Sergej Petrowitsch sehr gern«, fügte ich plötzlich mit warmer Empfindung hinzu. »Er hat zweifelsohne seine Mängel, darüber habe ich schon früher mit Ihnen gesprochen, nämlich eine gewisse Einseitigkeit in seiner Anschauungsweise ... aber auch seine Mängel legen von seiner edlen Gesinnung Zeugnis ab, nicht wahr? Ich habe mich zum Beispiel heute mit ihm über einen Gedanken beinahe gezankt: er behauptet, wenn jemand von Ehrenhaftigkeit spreche, so müsse er selbst ehrenhaft sein; sonst sei alles, was er sage, Lüge. Na, ist das etwa logisch? Aber doch zeugt gerade das von den hohen Anforderungen, die er in seinem Herzen an das Gefühl für Ehre, Pflicht und Gerechtigkeit stellt, nicht wahr? Ach, mein Gott, was istdie Uhr?« rief ich plötzlich, da mein Blick zufällig auf das Zifferblatt der Kaminuhr fiel.
    »Es ist in zehn Minuten drei«, sagte sie ruhig nach einem Blick auf die Uhr. Die ganze Zeit über, während ich von dem Fürsten sprach, hatte sie mir mit niedergeschlagenen Augen und mit einem schlauen, aber liebenswürdigen Lächeln zugehört: sie wußte, weswegen ich ihn so lobte. Lisa hatte, den Kopf über ihre Arbeit gebeugt, zugehört und sich schon seit längerer Zeit nicht mehr an dem Gespräch beteiligt.
    Ich sprang auf, als ob ich mich verbrannt hätte.
    »Fürchten Sie, irgendwo zu spät zu kommen?«
    »Ja ... nein ... übrigens werde ich wirklich zu spät kommen, aber ich gehe gleich. Nur noch ein Wort, Anna Andrejewna«, begann ich in großer Aufregung, »ich muß, ich muß Ihnen das heute sagen! Ich will Ihnen gestehen, daß ich Ihre Güte und das Zartgefühl, mit dem Sie mich aufgefordert haben, Sie zu besuchen, in tiefster Seele empfinde ... Die Bekanntschaft mit Ihnen hat auf mich den allerstärksten Eindruck gemacht ... In Ihrem Zimmer wird gleichsam meine Seele reiner, und wenn ich von Ihnen weggehe, bin ich ein besserer Mensch, als ich vorher war. Das ist wirklich so. Wenn ich neben Ihnen sitze, kann ich von nichts Schlechtem reden, ja nicht einmal etwas Schlechtes denken; alle schlechten Gedanken verschwinden in Ihrer Gegenwart, und wenn mir bei Ihnen flüchtig etwas Schlechtes einfällt, so schäme ich mich sogleich darüber, werde verlegen und erröte innerlich. Und wissen Sie, eine besondere Freude ist es mir gewesen, heute meine Schwester bei Ihnen zu treffen ... Das zeugt von Ihrer edlen Gesinnung ... von einem so schönen Verhältnis ... Kurz – wenn Sie mir schon erlauben wollen, das Eis zu brechen –, Sie bekunden damit ein so geschwisterliches Gefühl, daß ich ...«
    Während ich sprach, hatte sie sich von ihrem Platz erhoben und war immer mehr errötet; aber auf einmal schien sie einen Schreck zu bekommen wie vor einer Grenzlinie, die nicht überschritten werden dürfe, und unterbrach mich schnell: »Seien Sie überzeugt, daß ich Ihre Gefühle von ganzem Herzen zu schätzen weiß ... Ich habe sie auch ohne Worte verstanden ... und schon lange ...«
    Sie hielt verlegen inne und drückte mir die Hand. Auf einmal zupfte mich Lisa heimlich am Ärmel. Ich empfahl mich und ging

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