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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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mein Lieber. Warum hast du geglaubt, daß ich so gefühllos bin? Ich bemühe mich vielmehr aus aller Kraft ... Nun, und wie steht es mit dir, mit deinen Angelegenheiten?«
    »Lassen wir meine Angelegenheiten beiseite; ich habe jetzt keine eigenen Angelegenheiten. Sagen Sie, warum zweifeln Sie daran, daß er sie heiraten wird? Er ist gestern bei Anna Andrejewna gewesen und hat sich endgültig losgesagt ... na, ich meine, von diesem dummen Projekt ... das der Fürst Nikolai Iwanowitsch ausgeheckt hatte, daß aus ihnen ein Paar werden sollte. Er hat sich endgültig losgesagt.«
    »Ja? Wann ist denn das gewesen? Und von wem hast du das eigentlich gehört?« erkundigte er sich neugierig. Ich erzählte alles, was ich wußte.
    »Hm ...«, sagte er nachdenklich, als wenn er sich etwasim stillen zurechtlegte, »also muß das genau eine Stunde ... vor einer anderen Erklärung geschehen sein. Hm ... nun ja, gewiß, eine derartige Erklärung konnte ja zwischen ihnen stattfinden, obwohl mir bekannt ist, daß dort weder von der einen noch von der andern Seite bisher jemals etwas gesagt oder getan worden ist ... Ja, es genügen allerdings zwei Worte, um sich zu erklären. Aber sieh mal«, fuhr er mit einem seltsamen Lächeln fort, »ich will dir da eine außerordentliche Neuigkeit mitteilen, die dich sehr interessieren wird: wenn dein Fürst Sergej auch wirklich gestern Anna Andrejewna seinen Heiratsantrag gemacht hätte (was ich, entre nous soit dit, da ich über Lisa meine Vermutungen hatte, mit allen Mitteln zu verhindern gesucht hätte), so hätte ihm doch Anna Andrejewna bestimmt und in jedem Falle sofort einen Korb gegeben. Du liebst, achtest und verehrst ja wohl Anna Andrejewna sehr? Das ist sehr nett von dir, und daher wirst du dich wahrscheinlich für sie freuen: sie beabsichtigt zu heiraten, mein Lieber, und nach ihrem Charakter zu urteilen glaube ich, daß sie es auch sicher tun wird, und ich ... nun, ich werde ihr natürlich meinen Segen geben.«
    »Sie will sich verheiraten? Mit wem denn?« rief ich höchst erstaunt.
    »Rate einmal! Aber ich will dich nicht lange quälen: mit Fürst Nikolai Iwanowitsch, deinem lieben alten Herrn.«
    Ich sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Sie wird diesen Plan wohl schon lange gehegt haben und hat ihn gewiß mit der größten Kunst nach allen Seiten hin ausgearbeitet«, fuhr er langsam und lässig fort. »Ich vermute, daß das gerade eine Stunde nach dem Besuch des Fürsten Sergej zur Ausführung gelangt ist. (Da hat er also den Sprung nicht im richtigen Augenblick unternommen!) Sie ist einfach zum Fürsten Nikolai Iwanowitsch hingegangen und hat ihm einen Antrag gemacht.«
    »Was soll das heißen: ›sie hat ihm einen Antrag gemacht‹? Sie meinen: er hat ihr einen Antrag gemacht?«
    »Nein doch, wie könnte er das! Sie, sie selbst hat es getan; das ist es ja eben, und darüber ist er jetzt im siebenten Himmel. Wie ich mir habe sagen lassen, sitzt er jetztimmer da und wundert sich, daß er selbst nicht auf diesen Gedanken gekommen ist. Ich habe gehört, er fühle sich sogar unwohl ... sicher ebenfalls vor Entzücken.«
    »Hören Sie mal, Sie sagen das alles so spöttisch ... Ich kann es kaum glauben. Und wie hat sie es denn angefangen, ihm einen Antrag zu machen? Was hat sie zu ihm gesagt?«
    »Sei überzeugt, mein Freund, daß ich mich aufrichtig darüber freue«, antwortete er, indem er auf einmal ein überraschend ernstes Gesicht machte. »Er ist allerdings alt, aber nach Gesetz und Sitte kann er heiraten, und sie – das ist eben wieder so eine Angelegenheit eines fremden Gewissens, wovon ich schon mehrmals mit dir gesprochen habe, mein Freund. Übrigens ist sie durchaus befähigt und berechtigt, ihre eigene Meinung zu haben und ihre eigenen Entschlüsse zu fassen. Was aber speziell die Einzelheiten anlangt und die Worte, deren sie sich dabei bedient hat, so bin ich nicht in der Lage, dir darüber etwas mitteilen zu können, mein Freund. Aber sie wird das schon verstanden haben und vielleicht so gut, wie du und ich es uns nicht aussinnen könnten. Das beste an der ganzen Sache ist, daß keinerlei häßliches Aufsehen damit verbunden ist; vielmehr ist alles in den Augen der vornehmen Gesellschaft très comme il faut. Es liegt natürlich auf der Hand, daß sie sich eine Stellung in der Gesellschaft hat schaffen wollen, aber sie ist einer solchen Stellung ja auch durchaus würdig. Das alles ist in der Gesellschaft ein völlig üblicher Vorgang. Und bei ihrem Antrag hat sie

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