Der Jüngling
Vorteile willen mit meinem Burschen eine Art von Komplott gemacht. Stepanow sah mich nur stillschweigend an und zuckte mit den Achseln. Ich erinnere mich noch an seinen Blickund werde ihn niemals vergessen. Darauf wollte er unverzüglich seinen Abschied einreichen; aber was glauben Sie, was geschah? Die Offiziere machten ihm alle ohne Ausnahme zusammen einen Besuch und redeten ihm zu, zu bleiben. Zwei Wochen darauf trat ich meinerseits aus dem Regiment aus: es hatte mich niemand dazu gedrängt oder aufgefordert; ich gab als Grund für mein Ausscheiden Familienverhältnisse an. Damit war die Sache beendet. Anfangs machte ich mir darüber gar keine Gedanken und war sogar auf meine ehemaligen Kameraden ärgerlich; ich wohnte in Luga und lernte Lisaweta Makarowna kennen; aber dann – es war erst ein Monat seitdem vergangen – fing ich schon an, häufig meinen Revolver zu betrachten und an den Tod zu denken. Ich sehe alle Dinge von der dunklen Seite an, Arkadij Makarowitsch. Ich verfaßte einen Brief an den Regimentskommandeur und an die Offiziere, in welchem ich meine Lüge vollständig eingestand und Stepanow für einen Ehrenmann erklärte. Nachdem ich den Brief geschrieben hatte, stellte ich mir die Frage: ›Soll ich ihn abschicken und leben bleiben, oder soll ich ihn abschicken und mich töten?‹ Ich hätte diese Frage nicht beantworten können. Ein Zufall, ein blinder Zufall brachte mich nach einem schnellen, eigenartigen Gespräch mit Lisaweta Makarowna ihr plötzlich seelisch näher. Sie hatte auch schon vorher Frau Stolbejewa manchmal besucht; wir waren einander begegnet, hatten uns gegrüßt und sogar ab und zu ein paar Worte miteinander gesprochen. Ich entdeckte ihr alles. Da war es, wo sie mir die rettende Hand reichte.«
»Wie entschied sie denn Ihre Frage?«
»Ich habe den Brief nicht abgeschickt. Sie sagte, ich solle ihn nicht abschicken. Sie motivierte das folgendermaßen: wenn ich den Brief abschickte, so würde ich damit allerdings eine edle Tat ausführen, die genügen würde, um mich von dem ganzen Schmutz rein zu waschen, ja noch weit mehr als das, aber würde ich das auch aushalten können? Sie war der Meinung, daß niemand das aushalten könne, da er sich dadurch seine Zukunft vernichte und sich die Auferstehung zu einem neuen Leben unmöglich mache. Und außerdem: wenn noch Stepanow zu leiden gehabt hätte;aber das Offizierskorps habe ihn ja ohnehin rehabilitiert. Kurz, was sie sagte, war paradox; aber sie hielt mich dadurch aufrecht, und ich überließ mich vollständig ihrer Leitung.«
»Die Art, wie sie die Frage entschied, war jesuitisch, aber weiblich!« rief ich. »Sie hat Sie offenbar schon damals geliebt!«
»Das war es gerade, was mich zu neuem Leben erweckte. Ich nahm mir fest vor, ein anderer Mensch zu werden, mein Leben umzugestalten, die früheren Verfehlungen vor meinem eigenen und vor ihrem Richterstuhl wiedergutzumachen – und nun sehen Sie, womit es geendet hat! Es hat damit geendet, daß ich mit Ihnen hier die Roulettsäle besuche und Pharo spiele; durch die Erbschaft habe ich mich von meinen guten Vorsätzen wieder abbringen lassen, ich habe meine Freude gehabt an der Hoffnung auf eine Karriere, an dem Verkehr mit diesen Menschen, an meinen Trabern ... ich habe Lisa gepeinigt – o Schmach, o Schmach!«
Er rieb sich mit der Hand die Stirn und ging im Zimmer hin und her.
»Uns beide, Arkadij Makarowitsch, Sie und mich, hat das allgemeine russische Schicksal betroffen: Sie wissen nicht, was Sie tun sollen, und ich weiß nicht, was ich tun soll. Gerät ein Russe nur ein klein wenig aus dem offiziellen Geleise, das durch die Sitte für ihn zum Gesetz geworden ist, so weiß er sogleich nicht mehr, was er tun soll. Solange er im Geleise bleibt, ist alles klar: das Einkommen, der Rang, die gesellschaftliche Stellung, die Equipagen, die Visiten, die dienstliche Tätigkeit, die Frau; aber sowie dieser Zustand auch nur im geringsten gestört wird, was bin ich dann? Ein Blatt, das der Wind umhertreibt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Während dieser beiden Monate habe ich mir alle Mühe gegeben, mich im Geleise zu halten; ich habe das Geleise liebgewonnen, mich an das Geleise gewöhnt. Sie kennen noch nicht die ganze Tiefe meines jetzigen Falles: ich liebte Lisa, liebte sie aufrichtig, und dachte zu gleicher Zeit an die Achmakowa!«
»Wirklich?« rief ich mit einer Empfindung des Schmerzes. »Beiläufig, Fürst, was sagten Sie mir gestern über Wersilow,er habe Sie zu
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