Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
das andere eine Art Rätsel: die Sonne als ein Gedanke Gottes und der Dom als ein Gedanke der Menschen ... nicht wahr? ... Ach, ich verstehe das nicht auszudrücken, aber Gott liebt solche ersten Gedanken von Kindern ... Und da neben ihr auf den Stufen sitzt dieser irrsinnige alte Großvater und blickt sie unverwandt an ... Wissen Sie, es ist ja eigentlich nichts Besonderes an diesem Bildchen bei Dickens, absolut nichts, aber Sie werden es Ihr lebelang nicht vergessen, und in ganz Europa hat es sich erhalten – woher wohl? Es ist etwas Herrliches! Das ist Unschuld! Ach, ich weiß nicht, was es ist, aber es ist schön. Auf dem Gymnasium habe ich immer Romane gelesen. Wissen Sie, ich habe eine Schwester auf dem Lande; sie ist nur ein Jahr älter als ich ... Oh, jetzt ist da schon alles verkauft, und wir haben kein Gut mehr! Ich saß einmal mit ihr in der Veranda, unter unsern alten Linden, und wir lasen diesen Roman, und die Sonne ging auch gerade unter, und auf einmal hörten wir auf zu lesen und sagten zueinander, daß auch wir gute Menschen, edle Menschen werden wollten – ich bereitete mich damals zum Eintritt in die Universität vor, und ... Ach, Dolgorukij, wissen Sie, jeder hat so seine Erinnerungen! ...«
    Und auf einmal lehnte er seinen hübschen Kopf an meine Schulter und – brach in Tränen aus. Er tat mir leid, sehr leid. Allerdings hatte er viel Wein getrunken, aber er hatte so aufrichtig und so brüderlich mit mir gesprochen und mit so tiefer Empfindung ... Aber gerade in diesem Augenblick erscholl auf der Straße Geschrei, und es klopfte jemand da, wo wir saßen, heftig mit dem Fingerknöchel ans Fenster (das Restaurant hatte große, aus einer Scheibe bestehende Fenster und lag im Erdgeschoß, so daß man von der Straße aus mit der Hand anklopfen konnte). Es war der hinausbeförderte Andrejew.
    »Ohé, Lambert! Où est Lambert? As-tu vu Lambert?« schrie er wild auf der Straße.
    »Ach, er ist noch hier! Also er ist nicht weggegangen?« rief mein junger Bekannter und sprang vom Stuhl auf.
    »Die Rechnung!« rief Lambert zähneknirschend dem Kellner zu. Die Hände zitterten ihm nur so vor Wut, alser zu bezahlen anfing, aber der Pockennarbige erlaubte nicht, daß er für ihn bezahle.
    »Warum denn nicht? Ich habe Sie ja doch eingeladen, und Sie haben meine Einladung angenommen!«
    »Nein, erlauben Sie schon!« erwiderte der Pockennarbige, zog sein Portemonnaie heraus, berechnete seinen Anteil und bezahlte für sich.
    »Sie kränken mich, Semjon Sidorytsch!«
    »Ich will es nun einmal so«, erwiderte Semjon Sidorowytsch in scharfem Ton, nahm seinen Hut und ging, ohne sich von jemandem zu verabschieden, allein aus dem Saal. Lambert warf dem Kellner das Geld hin und lief ihm eilig nach, wobei er sogar in seiner Verwirrung mich ganz vergaß. Ich und Trischatow gingen zuletzt von allen hinaus. Andrejew stand wie ein Werstpfahl an der Haustür und wartete auf Trischatow.
    »Taugenichts!« rief ihm Lambert zu, der sich nicht mehr beherrschen konnte.
    »Oho!« brüllte Andrejew zur Antwort und schlug ihm, weit ausholend, mit einem einzigen Schlag seiner Hand den Zylinderhut ab, der auf dem Trottoir dahinkollerte. Lambert lief in unwürdiger Weise hinterher, um ihn aufzuheben.
    »Vingt-cinq roubles!« sagte Andrejew zu Trischatow und zeigte ihm die Banknote, die er Lambert kurz vorher abgepreßt hatte.
    »So hör doch auf!« rief ihm Trischatow zu. »Warum machst du immer Krakeel? ... Und warum hast du ihm fünfundzwanzig abgezwackt? Du hattest doch nur sieben von ihm zu bekommen.«
    »Warum ich ihm soviel abgezwackt habe? Er hatte uns ein separates Diner mit lockeren Weibern versprochen, und statt der Weiber hat er uns den Pockennarbigen serviert, und außerdem habe ich nicht zu Ende gegessen und hier in der Kälte für achtzehn Rubel gefroren. Sieben Rubel war er mir noch schuldig – siehst du, das macht gerade fünfundzwanzig.«
    »Scheren Sie sich beide zum Teufel!« schrie Lambert. »Ich werde Ihnen beiden den Laufpaß geben, ich werde Sie schon kleinkriegen ...«
    »Lambert, ich werde Ihnen den Laufpaß geben, ich werde Sie kleinkriegen«, schrie Andrejew. »Adieu, mon prince, trinken Sie keinen Wein mehr! Petja, marsch! Ohé, Lambert! Où est Lambert? As-tu vu Lambert?« brüllte er zum letztenmal, während er sich mit gewaltigen Schritten entfernte.
    »Ich werde also zu Ihnen kommen, ja? Darf ich?« flüsterte mir Trischatow noch schnell zu und eilte dann seinem Freund nach.
    Ich blieb allein mit

Weitere Kostenlose Bücher