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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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tat, als ob ich immer noch schliefe. Aber Lambert war nicht mehr im Zimmer: er war schon fortgegangen. Es war schon zwischen neun und zehn Uhr; im Ofen knisterte das Feuer; genauso wie damals, als ich nach jener Nacht zum erstenmal bei Lambert war. Aber hinter dem Bettschirm bewachte mich Alfonsinka: ich bemerkte das sofort, da sie zweimal hervorblickte und nach mir hinsah, aber ich machte jedesmal die Augen zu und stellte mich, als ob ich noch schliefe. Ich tat das deshalb, weil ich mich ganz matt fühlte und über meine Lage nachdenken wollte. Ich erkannte mit Schrecken die ganze Torheit und Schändlichkeit meiner nächtlichen Beichte vor Lambert, meiner Verabredung mit ihm, meines Fehlers, daß ich zu ihm hingelaufen war! Aber Gott sei Dank, das Schriftstück befand sich noch in meinen Händen, es war immer noch ebenso in meiner Seitentasche eingenäht; ich fühlte mit der Hand hin – es war da! Also brauchte ich nur sofort aufzuspringen und davonzulaufen; mich aber nachher vor Lambert zu schämen, dazu war kein Grund vorhanden: das war Lambert nicht wert.
    Aber ich schämte mich vor mir selbst! Ich war mein eigener Richter, und – o Gott, wie sah es in meiner Seele aus! Aber, ich will dieses höllische, unerträgliche Gefühl und dieses Bewußtsein meiner Gemeinheit und Schändlichkeit nicht schildern. Eingestehen aber muß ich es, denn es ist, wie ich glaube, der richtige Zeitpunkt dafür gekommen. In meinen Aufzeichnungen muß das vermerkt werden. Und so mag es denn jedermann wissen, daß ich nicht darum beabsichtigte, sie mit Schmutz zu bewerfen, und mich anschickte, Zeuge zu werden, wie sie Lambert den Kaufpreis entrichtete (o welche Gemeinheit!), nicht darum, um den irrsinnigen Wersilow zu retten und ihn Mama wiederzugeben, sondern weil ... weil ich vielleicht selbst in sie verliebt war, verliebt und eifersüchtig! Auf wen war ich eifersüchtig: auf Bjoring, auf Wersilow? Auf alle die Herren, denen sie auf dem Ball einen Blick zuwenden und mit denen sie reden würde, während ich in der Ecke stehen undmich vor mir selbst schämen würde?... O welche Ungeheuerlichkeit!
    Kurz, ich weiß nicht, auf wen ich eifersüchtig war; aber ich hatte es am vorhergehenden Abend gefühlt und mich so sicher, wie zwei mal zwei vier ist, davon überzeugt, daß sie für mich verloren war, daß diese Frau mich zurückstoßen und mich wegen meiner Heimtücke und Torheit auslachen würde! Sie war aufrichtig und ehrlich, und ich – ich war ein Spion und operierte mit Schriftstücken!
    Alles dies habe ich seitdem in meinem Herzen verborgen gehalten, aber jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, und ich ziehe das Fazit. Aber ich sage es noch einmal und zum letztenmal: vielleicht habe ich mich zur vollen Hälfte oder gar zu fünfundsiebzig Prozent verleumdet! In jener Nacht haßte ich sie wie ein Rasender und dann wie ein tobender Betrunkener. Ich habe schon gesagt, daß es ein Chaos von Gefühlen und Empfindungen war, in dem ich mich selbst absolut nicht zurechtfinden konnte. Aber ganz gleich, ich mußte sie hier aussprechen, weil wenigstens ein Teil dieser Gefühle sicherlich nicht bloß eingebildet war.
    Mit einer unwiderstehlichen Empfindung des Ekels und mit der festen Absicht, alles wieder in Ordnung zu bringen, sprang ich plötzlich vom Sofa auf; aber kaum hatte ich das getan, als Alfonsina augenblicklich hinter dem Bettschirm hervorsprang. Ich griff nach meinem Pelz und nach meiner Mütze und befahl ihr, Lambert zu bestellen, ich hätte gestern dummes Zeug geredet, eine Dame verleumdet, absichtlich Spaß gemacht; Lambert solle nie wieder wagen, mir nahezukommen ... Alles dies brachte ich nur holpernd und ungeschickt heraus, hastig und auf Französisch und selbstverständlich furchtbar unklar, aber zu meinem Erstaunen verstand Alfonsina alles vortrefflich; was aber dabei das wunderlichste war: sie schien sich sogar über etwas zu freuen.
    »Oui, oui«, stimmte sie mir bei, »c'est une honte! Une dame ... Oh, vous êtes généreux, vous! Soyez tranquille, je ferai voir raison à Lambert ...«
    Ich hätte sogar in jenem Augenblick angesichts einer so unerwarteten Wandlung in ihren Gefühlen und somit aller Wahrscheinlichkeit nach auch in denen Lamberts erstauntstehenbleiben müssen. Ich ging jedoch schweigend hinaus; in meiner Seele war alles trübe und unklar, und meine Denkkraft funktionierte nur mangelhaft. Oh, später habe ich mir alles genau überlegt, aber da war es schon zu spät! Oh, was für eine teuflische

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