Der Jüngling
sie sich schleunigst zu Bjoring begeben und von diesem ohne Verzug eine kurze Zuschrift an die betreffende Behörde gefordert, worin Bjoring selbst dringend bat, mich unverzüglich freizulassen, da meine Verhaftung auf einem Mißverständnis beruhe. Mit diesem Schreiben war sie dann nach der Revierwache gegangen, wo man ihrer Bitte Folge leistete.
III
Nun fahre ich in der Erzählung der Haupthandlung fort.
Nachdem Tatjana Pawlowna meiner habhaft geworden war, setzte sie mich in eine Droschke und brachte mich nach ihrer Wohnung, befahl der Köchin, sogleich den Samowar zurechtzumachen, und wusch und säuberte mich eigenhändig bei sich in der Küche. In der Küche sagte sie laut zu mir, um halb zwölf werde Katerina Nikolajewna selbst zu ihr kommen – so hatten sie das kurz vorher miteinander verabredet –, um mit mir die Zusammenkunft zu haben. Auf diese Weise hörte das dort auch Marja. Ein paar Minuten darauf brachte sie den Samowar herein, aber wiederum zwei Minuten darauf, als Tatjana Pawlowna sie rief, gab sie keine Antwort, und es stellte sich heraus, daß sie fortgegangen war. Ich bitte den Leser, dies sehr zu beachten; es war damals, wie ich annehme, drei Viertel zehn. Tatjana Pawlowna ärgerte sich zwar darüber, daß sie so, ohne zu fragen, verschwunden war, dachte aber, sie sei zum Kaufmann gegangen, und vergaß die Sache zunächst. Und wir hatten ja auch ganz andere Dinge im Kopf; wir redeten ununterbrochen, da es ja auch genug zu reden gab, und infolgedessen schenkte zum Beispiel ich dem Verschwinden Marjas fast überhaupt keine Beachtung; ich bitte den Leser, sich auch dies zu merken.
Selbstverständlich war ich ganz benommen; ich legte ihr meine Empfindungen dar; das wichtigste aber war: wir erwartetenKaterina Nikolajewna, und der Gedanke, daß ich in einer Stunde ihr endlich gegenüberstehen würde, und noch dazu in einem so entscheidenden Augenblick meines Lebens, machte mich zittern und beben. Endlich, als ich zwei Tassen Tee getrunken hatte, stand Tatjana Pawlowna plötzlich auf, nahm eine Schere vom Tisch und sagte:
»Zeig deine Tasche her, wir müssen den Brief herausnehmen – wir können sie doch nicht in ihrer Gegenwart auftrennen.«
»Richtig!« rief ich und knöpfte den Rock auf.
»Was ist denn das für eine Pfuscharbeit? Wer hat das zugenäht?«
»Ich selbst, ich selbst, Tatjana Pawlowna.«
»Na, das sieht man, daß du das selbst gemacht hast! Na, da ist er ...«
Wir zogen den Brief heraus; das alte Kuvert war noch dasselbe, aber darin steckte ein leeres Blatt Papier.
»Was ist das?« rief Tatjana Pawlowna, es hin und her drehend. »Was hast du denn?«
Aber ich stand sprachlos und blaß da ... und sank auf einmal kraftlos auf einen Stuhl nieder; wahrhaftig, ich bekam beinahe einen Ohnmachtsanfall.
»Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?« kreischte Tatjana Pawlowna. »Wo ist denn dein Schriftstück?«
»Lambert!« rief ich, plötzlich aufspringend und mir vor die Stirn schlagend; ich hatte den Zusammenhang erraten.
Eilig, nur mühsam atmend, setzte ich ihr alles auseinander – von der Nacht bei Lambert und von unserm damaligen Komplott; übrigens hatte ich ihr dies Komplott schon tags zuvor eingestanden.
»Sie haben es gestohlen; gestohlen!« schrie ich, stampfte auf den Fußboden und raufte mir die Haare.
»Schlimm!« sagte Tatjana Pawlowna, als sie begriffen hatte, wie es stand. »Wieviel ist die Uhr?«
Es war ungefähr elf.
»Ach, daß Marja nicht da ist. Marja, Marja!«
»Was befehlen Sie, gnädiges Fräulein?« antwortete Marja auf einmal von der Küche aus.
»Bist du da? Aber was machen wir jetzt? Ich will schnell zu ihr hin ... Ach, du Tölpel, du Tölpel!«
»Und ich will zu Lambert!« schrie ich. »Ich erwürge ihn, wenn es nötig ist!«
»Gnädiges Fräulein!« schrie Marja plötzlich von der Küche her, »Da ist eine, die Sie dringend sprechen möchte ...«
Aber sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als die »eine« bereits hastig mit Geschrei und Geheul selbst aus der Küche hereingestürzt kam. Es war Alfonsinka. Ich will die nun folgende Szene nicht in allen Einzelheiten schildern; es war alles Betrug und Schauspielerei, aber ich muß bemerken, daß Alfonsinka ihre Rolle großartig spielte. Mit Tränen der Reue und wütenden Gebärden schnatterte sie (natürlich auf französisch) los: sie habe damals selbst die Tasche aufgetrennt und den Brief herausgenommen, jetzt befinde er sich in Lamberts Händen, und im Verein mit »diesem Räuber«,
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