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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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eben! Ach, was soll man tun? Ach, mir ist ganz übel!« Sie rannte wieder umher, griff aber doch nach ihrem Plaid. »O Gott, wenn du nur vier Stunden früher gekommen wärest, aber jetzt ist es bald acht, und sie ist vorhin zu Pelischtschews zum Essen gefahren und nachher mit ihnen in die Oper.«
    »Herrgott, kann man denn nicht in die Oper laufen? ... Aber nein, das geht nicht! Was wird nun aus dem alten Mann werden? Er wird womöglich in der Nacht sterben!«
    »Hör mal, geh nicht dahin, geh zu Mama und bleib da über Nacht, und morgen früh ...«
    »Nein, um keinen Preis bleibe ich von dem alten Mann fort, mag da kommen, was will!«
    »Nun gut, bleib nicht von ihm fort; das ist ganz recht von dir. Ich aber, weißt du... ich werde doch zu ihr nach ihrer Wohnung laufen und ein Zettelchen für sie hinterlassen... weißt du, ich werde ihr in Ausdrücken, die nur ihr verständlich sind, schreiben, daß das Schriftstück da ist und sie morgen Punkt zehn Uhr vormittags bei mir sein soll, ganz pünktlich! Sei unbesorgt, sie wird kommen, mir wird sie schon folgen: dann bringen wir alles mit einemmal in Ordnung. Du aber lauf dorthin und erheitere den Alten, so gut du kannst, durch Witzchen und bringe ihn dazu, sich schlafen zu legen; vielleicht hält er es noch bis morgen vormittag aus! Und verängstige auch Anna nicht, die habe ich ja auch lieb; du bist gegen sie ungerecht, weil du kein Verständnis dafür hast, daß sie schlecht behandelt worden ist, von Jugend auf; ach, und ihr alle habt mir eure Sorgen auf meine Schultern gepackt! Und vergiß nicht, bestelle ihr von mir, ich selbst hätte mich dieser Sache angenommen, ich selbst, und von ganzem Herzen, und sie solle unbesorgt sein, und ihr Stolz werde nicht verletzt werden... Sie und ich, wir haben uns ja in den letzten Tagen ganz erzürnt und uns gegenseitig beschimpft! Na, nun lauf... halt, zeig doch noch einmal deine Tasche... ist es auch wahr, ist es auch wahr? O Gott, ist es auch wahr?! Gib mir den Brief doch wenigstens für diese Nacht, wozu brauchst du ihn? Laß ihn mir hier, ich fresse ihn nicht auf. Du läßt ihn sonst am Ende in der Nacht aus den Händen ... änderst am Ende deine Meinung!«
    »Um keinen Preis!« rief ich. »Da, sehen Sie her, befühlen Sie es, aber ihn hierlassen, das tue ich auf keinen Fall!«
    »Ich sehe, daß ein Papier da ist«, sagte sie, indem sie die Tasche mit den Fingern betastete. »Na gut also, dann gehe; ich aber werde vielleicht doch zu ihr ins Theater laufen, du hattest recht, als du davon sprachst! So lauf doch, lauf!«
    »Tatjana Pawlowna, warten Sie noch einen Augenblick: was macht Mama?«
    »Die ist am Leben.«
    »Und Andrej Petrowitsch?«
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Der wird schon wieder zur Besinnung kommen!«
    Ich lief davon, ermutigt und von Hoffnung erfüllt, obgleich mir die Sache nicht so geglückt war, wie ich es mir in Gedanken zurechtgelegt hatte. Doch leider hatte das Schicksal anders bestimmt, und etwas anderes erwartete mich. Wahrlich, es gibt ein Fatum auf der Welt!

II
     
    Schon als ich noch auf der Treppe war, hörte ich in unserer Wohnung Lärm, und die Eingangstür fand ich offen. Auf dem Flur stand ein mir unbekannter Diener in Livree. Pjotr Ippolitowitsch und seine Frau, beide durch irgend etwas in Angst versetzt, befanden sich ebenfalls auf dem Flur und warteten auf etwas. Die Tür zum Zimmer des Fürsten war geöffnet, und drinnen erscholl eine donnernde Stimme, die ich sofort erkannte – es war Bjorings Stimme. Ich hatte noch nicht zwei Schritte getan, als ich auf einmal sah, daß Bjoring und sein Begleiter, Baron R. – derselbe, der zu Wersilow in der Duellangelegenheit gekommen war –, den verweinten, zitternden Fürsten auf den Flur hinausführten. Der Fürst schluchzte laut und umarmte und küßte Bjoring. Bjorings Geschrei richtete sich gegen Anna Andrejewna, die ebenfalls hinter dem Fürsten her auf den Flur herausgekommen war; er drohte ihr und stampfte, glaube ich, sogar mit den Füßen – kurz, er zeigte sich als grober deutscher Soldat, obwohl er ein Mitglied der höchsten Gesellschaftskreise war. Später stellte es sich heraus, daß er es sich damals aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt hatte, Anna Andrejewna habe sich sogar kriminell vergangen und werde sich jetzt zweifellos für ihre Handlungsweise vor Gericht verantworten müssen. In Unkenntnis der Sache stellte er sich diese viel größer vor, als sie war, wie das bei vielen geschieht, und hielt sich daher

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