Der Jüngstre Tag
Stimmung wurde nicht gerade besser, da er keinen Erfolg mit dem Langwellensender hatte. Jeden Tag um zwölf Uhr mittags nach neuseeländischer Zeit schaltete er ihn ein, fummelte an den Einstellungen herum und versuchte, die Gemeinschaft in Gulf Harbour über Funk zu erreichen. Steven hatte dort vor der Abreise ein Funkgerät installiert. Jane hatte ihm fest versprochen, komme was wolle, jeden Tag zur Mittagszeit ein paar Minuten lang auf Funksprüche von ihm zu warten. Theoretisch wurden die Funkwellen von der Troposphäre reflektiert und konnten auf diese Weise um die ganze Welt reisen. In Wirklichkeit jedoch hatte ein ganzes Netzwerk von Betreibern vor der Pandemie Relaisstationen errichtet, um viel kürzere Entfernungen zu überbrücken. Doch dieses Netzwerk existierte natürlich nicht mehr.
Auf der Reise von Neuseeland hatte die Archangel den Kontakt zu Gulf Harbour verloren, ehe sie das Kap Hoorn erreichten. Obwohl sie noch immer auf der Nordhalbkugel waren, saß Mark jeden Tag lange Zeit vor dem Funkgerät und suchte die Frequenzen ab. Doch hörte er immer nur statisches Rauschen.
Noch schlimmer waren die zunehmenden Spannungen zwischen ihm und Allison. Mark wusste, dass sie seine Liebe zur See nicht teilte. Er fragte sich, ob sie mehr von den Vorlieben und Abneigungen des anderen erfahren hätten, wenn sie eine normale romantische Beziehung gehabt und nicht während ihrer Gefangenschaft in Haver nur ein paar gestohlene Augenblicke miteinander verbracht hätten. Vielleicht spielte auch der Altersunterschied von zwanzig Jahren eine Rolle, oder Allisons Wunsch, Nigels Grausamkeiten zu entkommen, war größer gewesen als ihre Liebe zu ihm. Es fiel ihm vor allem schwer, ihre fortwährende Sehnsucht nach England zu akzeptieren. Mark versuchte, sie davon zu überzeugen, dass es ihrer Mutter gut ging, aber dann begriff er, dass Allison auch ihre Tochter Charlene und ihre Enkelkinder vermisste.
In den kleinen Kabinen der Archangel , wo so viele Menschen auf engstem Raum zusammenlebten, konnten Mark und Allison keine Zeit in trauter Zweisamkeit verbringen. Der anfangs so leidenschaftliche Sex war abgeflaut. Auch das Wissen, dass das Stöhnen, das jede Nacht aus Stevens und Fergus’ Kabinen drang, von dem erstickten Kichern der beiden kleinen Jungen begleitet wurde, die in der Koje am Vordeck schliefen, dämpfte ihr Verlangen. Mark freute sich auf das Ende der Reise und hoffte, dass er und Allison ihre Beziehung dann neu beleben konnten. Allmählich wünschte er sich sogar, er hätte nicht den Vorschlag gemacht, in Brisbane vor Anker zu gehen.
Brisbane war nicht der einzige Grund, warum sich die Reise in die Länge zog. Sie fingen nur vier große Thunfische, als die Archangel gen Süden segelte. Die Fische waren eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan, doch grundsätzlich änderte sich dadurch nichts daran, dass ihre Vorräte zur Neige gingen.
Eine Woche, ehe sie das Kap der Guten Hoffnung umrunden wollten, sagte Mark zu Steven: »Wir haben keine andere Wahl. Mit so wenigen Vorräten schaffen wir es nicht durch den Indischen Ozean. Auch das Wasser geht zur Neige.«
Sie hatten nicht genug Diesel an Bord, um die Entsalzungsanlage laufen zu lassen. Und das Regenwasser, das sie während der tropischen Wolkenbrüche aufgefangen hatten, als sie langsam durch die Kalmen trieben, reichte nicht aus.
Am Abend verkündete Mark den anderen die Planänderung. Es war eine wunderschöne Nacht. Da es zu warm war, um unten richtig zu schlafen, hatten sich alle im Cockpit versammelt. Die Archangel machte gute Fahrt. Die großen Segel leuchteten im Mondlicht, und das schäumende Kielwasser glänzte silbern.
»Vielleicht finden wir in Kapstadt Überlebende«, spekulierte Robert enthusiastisch. Heute machte er ausnahmsweise mal kein mürrisches Gesicht.
Ebenso wie Tommy und Lee wurde er von den Geräuschen aus Fergus’ Kabine immer wach gehalten. Im Gegensatz zu den beiden kleinen Jungen amüsierte er sich jedoch nicht über die Geräusche, sondern sie erfüllten ihn mit Eifersucht und sexueller Frustration.
»Damit würde ich nicht rechnen«, erwiderte Mark. »Auf der Reise nach England gab es keine Anzeichen für Überlebende und auf dem Rückweg bisher auch nicht.«
»Wir sind kaum in der Nähe der Küsten gesegelt«, meinte Adam. »Meiner Meinung nach wäre es sinnvoll gewesen, wenn wir uns in ein paar Orten umgesehen hätten.«
»Ich kann immer noch nicht glauben, dass in der ganzen Welt nur Mitglieder der
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