Der Junge aus dem Meer - Roman
einen Unterton zu verleihen. Sie beugte sich vor und reichte T. J. eine muschelförmige Puderdose. Doch bevor er sie öffnen konnte, beugte sie sich zu ihm, nahm ihre Serviette und wischte die Mayonnaise weg. Länger als nötig ließ sie ihre Finger über seiner Haut schweben, bevor sie sich schließlich zurücklehnte und lächelte.
Ich rechnete damit, dass jetzt die Eifersucht über mich hereinbrechen würde. Doch eine derartige Woge blieb aus.
T. J. sah mich verlegen an und machte sich wieder über sein Hummerröllchen her. Ich legte mein eigenes in den Picknickkorb zurück, stellte mein Champagnerglas ab und hoffte, dass es nicht umkippte.
Ein lautes knisterndes Geräusch ließ alle Gesichter nach oben blicken. Wie bei einem Regensturm ergossen sich rote und blaue Funken über den Himmel. Die Show hatte begonnen. Bobby stellte den Motor ab, sodass wir auf dem Wasser schaukelten, und plötzlich war es ganz still auf unserem Boot – und auf dem ganzen Meer. Ich fragte mich, was wohl die Fische, die Schildkröten und die Garnelen von uns, von den seltsamen Machenschaften der Menschen hielten.
Während die Farbensträuße über unseren Köpfen explodierten, dachte ich daran, dass Mom auf dem sandigen Uferstreifen von Siren Beach dasselbe Spektakel betrachtete. Und irgendwo in Fisherman’s Village würde es Leo – und vielleicht auch seine Familie – ebenfalls sehen. Angesichts der verblüffenden Schönheit eines Feuerwerkskörpers hörte ich mich selbst nach Luft japsen, nur um mich danach seufzen zu hören, als er verblasste und seine qualmenden Überreste zur Erde taumelten. Feuerwerke gehörten zu den seltenen Dingen, bei denen ich das Gefühl hatte, sie mir nicht erklären zu müssen. Ich wollte nicht wissen, wie sie funktionierten, weil ich Angst hatte, die ihnen innewohnende Magie zu zerstören.
Ich schaute zu meinen Weggefährten im Boot, war neugierig, ob sie ebenso verzaubert waren, und musste feststellen, dass sich die meisten von ihnen küssten: Sallie und Lyndon; Kay und Rick; Jacqueline und Macon; CeeCee und Bobby. Das Licht von oben warf helle Muster auf jedes Paar, während sie sich eng aneinanderdrückten. Auf gewisseWeise
waren
Feuerwerke irgendwie sexy: die Erwartung, die Explosion, die Auflösung. Meine Wangen brannten.
Die Einzigen, die
nicht
küssten, waren Virginia, T. J. und ich. Ich hielt den Atem an, als T. J. und ich uns anblickten und Virginia uns beide betrachtete.
Okay. Das war’s. Das war der Moment, in dem T. J. und ich einen Kuss austauschen würden, der bis in die Zehenspitzen kitzelte und der Leo zu einer fernen Erinnerung verblassen ließe. Ich versuchte, mein Gesicht näher an T. J.s zu bringen, doch wohl zum ersten Mal in meinem Leben gehorchte mein Körper nicht den Befehlen meines Gehirns.
Und dann fing T. J. an zu reden.
»Ich kann’s noch immer nicht glauben«, flüsterte er und richtete seinen Blick auf mein Gesicht. »Ich hab’s Bobby erzählt.«
Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Was hast du Bobby erzählt?«, erwiderte ich flüsternd.
»Wie toll ihr aufgeräumt habt«, sagte T. J. lächelnd. »Ich wusste, dass du es hinkriegst.«
Eiseskälte überkam mich und ich wich zurück. Was das T. J.s Vorstellung von Zärtlichkeiten?
»Was hast du Bobby sonst noch so erzählt?«, fragte ich. Ein Feuerwerkskörper zog, von drei weiteren gefolgt, über unsere Köpfe hinweg. Vom Wasser klang Applaus zu uns herüber, und es hörte sich an, als ob einige Paare auf unserem Boot voneinander abließen, um keuchend in den Himmel zu gaffen. Doch ich hielt meinen Blick fest auf T. J. gerichtet. Das Feuerwerk spiegelte sich in seinen Augen.
T. J. lächelte und ließ Virginias Puderdose wie eine Münze über seine Handfläche gleiten. »Dass ich beeindruckt von deinem Haus und deiner Familie war.«
Mein Magen sank mir in die Kniekehlen, als mich dieWahrheit schließlich mit voller Wucht erwischte. Das war also alles, woran T. J. etwas lag. Oder etwa nicht? Mein Stammbaum. Mein Haus. Mein Gesicht. Die äußeren Anzeichen meines Erbes. Wenn ich überhaupt keine Verbindungen zu dieser Welt gehabt hätte, wenn ich einfach nur Miranda Merchant aus New York gewesen wäre – hätte sich T. J. Illingworth einen Dreck um mich geschert.
»Was? Was ist los?«, fragte T. J. und wurde blass. Mir wurde plötzlich klar, wie offensichtlich meine Gefühle – wenn ich sie denn zuließ – sein konnten. »Hab ich was zwischen den Zähnen oder so?«, fragte er und klappte umgehend
Weitere Kostenlose Bücher