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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Virginias Puderdose auf.
    Eine weitere Staffel von Raketen wurde abgeschossen, doch noch immer sah ich nicht auf. Ich betrachtete T. J., der in den kleinen Spiegel linste und dabei auf lächerliche Weise seinen Mund verzog.
Narziss,
dachte ich. Der Typ, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte und in eine Blume verwandelt wurde.
    »Wirklich witzig, dass du meine Familie erwähnst«, sagte ich zu T. J. und hob meine Stimme, um das Getöse zu übertönen. »Wusstest du, dass dein Dad und meine Mom verlobt waren?«
    Mein Bombenabwurf hatte nicht die gewünschte Folge.
    »Ah-hah. Mein Vater hat’s mir erzählt, als wir von eurem Haus weggegangen sind«, erwiderte T. J. abwesend und verdrehte den Kopf, um sich besser sehen zu können.
    Die Feuerwerksshow erreichte ihren Höhepunkt, und die Explosionen folgten jetzt schneller hintereinander. Ich setzte nach, wollte T. J. unbedingt von seinem Spiegel abbringen. »Na, wenn die beiden geheiratet hätten, dann wären wir ja so was wie …«
Bruder und Schwester,
dachte ich. Mein Magen verkrampfte sich. Ich war zuvor noch gar nichtauf diesen Gedanken gekommen, anscheinend auch, weil ich es nicht gewollt hatte. Aber vielleicht war es mir deshalb heute Abend nicht möglich gewesen, T. J.s Gesicht zu berühren oder ihn zu küssen, und vielleicht war auch deswegen die Idee eines Zusammenseins so abtörnend.
    T. J. antwortete nicht, wandte sein Gesicht aber schließlich vom Spiegel ab und sah in den Himmel. Ich folgte seinem Blick. Das große Finale der Show setzte ein: Das Feuerwerk explodierte in einem Wahnsinn aus roten, blauen und weißen Lichtern.
Feuerwerk.
Fröstelnd wurde es mir klar. Unabhängig von der Verbindung zwischen T. J.s Dad und meiner Mom – zwischen uns würde es niemals funken, wir verursachten keine chemische Kettenreaktion.
    »Das war großartig!«, rief Bobby, als der letzte Feuerwerkskörper ins Meer getrudelt war. Alle Passagiere auf allen Booten brachen in frenetischen Applaus aus.
    Ich klatschte ebenfalls, meine Handflächen brannten. Das Feuerwerk war vorüber, und ich war hier fertig. Plötzlich fühlte ich mich frei. Jetzt, wo ich mir Klarheit über T. J. verschafft hatte, wollte ich soweit wie nur eben möglich von ihm entfernt sein.
    Ich stand da und sah auf T. J. hinab, der immer noch applaudierte und in den Himmel grinste, völlig in sich selbst ruhend und zufrieden mit seinem Platz in dieser Welt.
    »T. J.«, sagte ich und hörte die Entschlossenheit in meiner Stimme. »Ich bin nicht die, für die du mich hältst.« Mit war klar, dass es ziemlich lächerlich war, so etwas zu sagen – so als spräche der schrullige Typ im Film zu seiner Angebeteten, um sich im nächsten Moment in einen Superhelden zu verwandeln.
    T. J. blinzelte mich an, doch bevor er mich bitten konnte, Näheres zu erklären, wandte ich mich an Virginia. Völligunbefangen hatte sie uns die ganze Zeit beobachtet und in gespannter Erwartung nach ihrem Champagnerglas gegriffen.
    »Er gehört dir«, sagte ich zu ihr. Ich meinte es ernst. Dann bahnte ich mir den Weg ans andere Ende des Boots, vorbei an Macon, Jacqueline und den anderen. CeeCee und Bobby turtelten noch immer herum, und Bobby hatte noch keine Anstalten gemacht, den Motor wieder zu starten.
    Sehnsuchtsvoll blickte ich über das Wasser. Ich hätte einfach hineinspringen können! Das kalte Meer hätte sich wie Balsam auf meiner heißen Haut angefühlt und CeeCees Kleid sich wie ein Ballon um mich herum aufgebläht. Ich wäre untergetaucht, hätte mit den Füßen paddeln und schwimmen, schwimmen, schwimmen können.
    Aber wohin? Nicht zum Alten Seemann, das wusste ich. Aber zu Leo. Wo immer er auch war. Warum hatte ich so angestrengt gegen das Unausweichliche angekämpft? Ich blinzelte in die Nacht hinein und sah die winzigen roten und goldenen Lichter von Fisherman’s Village.
    Ich dachte an den Moment vor Leos Haus zurück. Und mit kristallklarer Erkenntnis begriff ich plötzlich, warum ich ihn abgewiesen hatte: Ich hatte Angst gehabt. Angst vor dem Unbekannten, Angst vor dem, was Leo wirklich war – eine mystische Kreatur vielleicht. Oder einfach nur der Junge, in den ich mich verliebt hatte. Beides war gleichermaßen erschreckend, weil weder das eine noch das andere erklärbar waren.
    Ohne Vorwarnung traten mir Tränen in die Augen, und ich war dankbar für das dem Feuerwerk folgende Summen der Unterhaltungen um mich herum. Mein Herz dehnte sich aus – mir war es egal, was Leo war, ob nun irgendeine Art von

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