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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatte. Doch diese neue Miranda – halb sie selbst, halb das Monster – tat das Unmögliche: Sie schaltete das Licht in ihrem Zimmer aus, schlich auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und dachte nicht mal im Traum daran, eine Nachricht zu hinterlassen. Dann verschloss sie die Haustür und trat in die Umarmung der heißen Inselnacht hinaus.

KAPITEL 14
Gezeiten
    W ährend ich mich durch die Dunkelheit stahl und auf den von Sternen beschienenen Ozean blickte, fragte ich mich, ob Isadora so etwas auch getan hatte – im Schutze der Nacht fortlaufen, um Henry am Strand zu treffen. Vielleicht hatte sie sogar dieses Kleid getragen. Hatte ihr Puls genauso gerast wie meiner jetzt, voller Vorfreude auf die Begegnung mit ihrem Geliebten und gleichermaßen im Wissen um ihren Betrug? Denn dass ich heute Abend losging, um Leo zu treffen, war schließlich auch eine Art von Betrug. Ich betrog Mom, der ich das Verspechen gegeben hatte, ein braves Mädchen zu sein.
    Dankbar für das trübe Licht des Halbmonds bahnte ich mir den Weg über den Kieselpfad hinunter zum Hafen. Der Duft des blühenden Jasmins vermischte sich mit der Seeluft; die Boote ruhten friedlich auf dem Wasser. Ich entschied mich für die kleine Gasse, die nach Fisherman’s Village führte, und obwohl ich allein war, verspürte ich keinerlei Angst.
    Im Dorf selbst ging es lebhaft und geschäftig zu, in hellen Glanz getaucht von roten und gelben Lichtern. Auch dieses Mal klang Musik, strömten Menschen aus den Pubs, überall herrschte Fröhlichkeit.
    Allerdings fiel mir jetzt auf, wie alt die ganzen Gebäude waren. Hier schienen selbst die Wurzeln der Eichen tiefer in den Boden einzudringen als auf meiner Seite der Insel.Während ich die Stufen zum Strand hinunterlief, wurde mir klar, dass die Bewohner von Fisherman’s Village die wahren Erben von Selkie Island waren. Ich entschied mich, dieses Argument einzubringen, wenn Mom beim nächsten Mal wieder Leos Herkunft infrage stellen sollte.
    Am Strand angekommen bahnte ich mir in aller Ruhe den Weg über die schwarzen Felsen. Ich konnte die Grotte erkennen, in der Leo und ich den Sturm abgewartet hatten. Aus der schmalen Öffnung flackerten mir tanzende Lichter entgegen. In meiner Brust machte sich Hoffnung breit.
    Ich spürte nur einen leichten Anflug von Überraschung, als Leo mit feuchten Haaren in der Öffnung der Grotte erschien. Er trug seine Badehose und die rote Kapuzenjacke, die ich ihm zurückgegeben hatte. Er biss sich auf die Lippe und grinste mich an. Ich fragte ihn nicht, was er in der Grotte getan hatte oder ob er schwimmen gewesen sei. Ich stürzte bloß einfach auf ihn los.
    Als ich bei ihm angekommen war, legte mir Leo die Hände um die Taille und hob mich mühelos in die Höhe. Ich fühlte mich klein und leicht, doch irgendwie auch kraftvoll, als sich unsere Lippen trafen. Wir küssten uns lange. Der Strand um uns herum löste sich auf.
    »Hey«, sagte Leo schließlich, während er mich vorsichtig absetzte. »Du bist wirklich wunderschön.« Das klang so sachlich, als ob er mir sagen würde, die chemische Formel für Wasser sei H2O. Anders als bei T. J. hatte ich nicht das Gefühl, dass er mich wie ein Gemälde betrachtete. Er sagte lediglich, was er dachte. Zum ersten Mal im Leben wurde mir klar, was es hieß, begehrt zu werden.
    »Danke«, erwiderte ich, während ich aufrecht vor ihm stand und mir der Wind die Haarsträhnen nach hinten blies.
    Leo nahm meine Hand und zog mich zu der Grotte.»Ich war mir nicht sicher, ob ich dich heute Abend sehen würde«, erklärte er. »Ich hatte schon befürchtet, dass deine Mom dich im Haus einschließt.«
    »Sie hat’s versucht«, erwiderte ich, immer noch leicht benebelt von unserem Kuss.
    Leo lachte. »Na, dann bin ich ja froh, dass ich Vorkehrungen getroffen habe.« Er führte mich durch die Öffnung der Grotte.
    Und dann verschlug es mir den Atem.
    Eine karierte Tischdecke war über den Sand gebreitet. Zwei wackelige Kerzen befanden sich in jeder Ecke der kleinen Höhle und beleuchteten das Festmahl: in Wachspapier eingeschlagene Pommes frites, auf zwei herausgerissenen Zeitungsseiten vegetarische Sushi-Röllchen und die köstlichen Krebsfrikadellen, die ich im Pub in Fisherman’s Village gegessen hatte. Eine Karaffe Rotwein stand neben zwei Plastikbechern.
    »Leo, du bist unmöglich«, flüsterte ich – und lächelte angesichts meiner Wortwahl. Unmöglich.
    »Tut mir leid, dass ich keine Teller beschaffen konnte«, sagte Leo und fuhr sich mit der Hand

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