Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
durchs Haar. »Du bist wahrscheinlich daran gewöhnt, von Te…«
    »Stopp!«, unterbrach ich und küsste ihn auf die Wange. »Es ist perfekt.«
    Das war es tatsächlich. Zusammen quetschten wir uns auf die Decke und aßen bei flackerndem Kerzenschein. Leo berichtete von den nachmittäglichen Ereignissen im Research Center, während ich ihm erzählte, wie angespannt es bei mir zu Hause lief. Er überließ mir sämtliche Krebsfrikadellen und ich ihm im Gegenzug die vegetarischen Sushi-Röllchen. Wir teilten uns die Pommes, und Leo schenkte uns zwei Becher Wein ein.
    »Ich trinke eigentlich gar nicht«, sagte ich und nahm einen kleinen Schluck. Der Wein schmeckte gut, war voller Aroma. Viel besser als der schicke Champagner, den ich am Abend zuvor probiert hatte.
    »Ich auch nicht«, entgegnete Leo und berührte meinen Becher mit seinem. Seine Grübchen waren wieder zu sehen. »Aber ich dachte, das wäre ein besonderer Anlass.«
    »Wieso?«, fragte ich. Plötzlich wurde mir schmerzhaft bewusst, dass dies unser Abschied war, da Leo auf Angeltour mit seinem Vater ging und ich am Sonntag abfuhr. Leo wusste es noch nicht. Eine Welle der Traurigkeit überkam mich, so stark, dass ich die Pommes hinlegen musste.
    »Weil … ich dich vermisst habe«, sagte Leo und errötete leicht.
    »Ich hab dich auch vermisst«, flüsterte ich und hoffte, nicht in Tränen auszubrechen. Ich nahm einen größeren Schluck Wein und spülte das Gefühl herunter.
    »Warte mal, was ist denn los?«, fragte Leo sofort, stellte seinen Becher ab und nahm meine Hand.
    »Leo.« Ich blickte ihn an; meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich wünschte, er wäre nicht immer so einfühlsam gewesen. »Ich werde Selkie Island am Sonntag verlassen. Meine Mutter und ich fahren zurück nach New York.« Allein diese Worte auszusprechen war herzzerreißend.
    Leo sah mich erstaunt an, dann verdunkelten sich seine meergrünen Augen. »Wirklich?«, fragte er nach einer Minute mit einer viel tieferen Stimme als zuvor. Er trank einen Schluck Wein. »Ich meine, ich wusste natürlich, dass du nicht ewig hierbleiben würdest. Aber ich habe wohl nicht damit gerechnet, dass es so bald …« Seine Worte verloren sich; der Muskel in seiner Wange spannte sich.
    »Es ist nicht fair«, platzte ich heraus und ergriff seineHand. Eine Welle der Frustration schlug über mir zusammen. »Wir haben uns doch gerade erst gefunden.« Ich dachte daran, was Leo beim letzten Mal in der Grotte über die Sommerstürme auf Selkie gesagt hatte. Vielleicht waren er und ich dazu bestimmt, nicht mehr als ein Sturm zu sein – schnell und intensiv, und dann vorbei.
    »Ich glaube nicht, dass es fair oder einfach sein kann«, sagte Leo nachdenklich. »Der Fluss der wahren Liebe floss nie sanft.«
    Beim Wort ›Liebe‹ ratterte mein Herz. Ich hatte Liebe immer als ein flüchtiges und unzuverlässiges Gefühl abgetan. Inhalt von Geschichten, von Fiktion. Aber es gab diese Gewissheit von Glück, die ich in Leos Beisein verspürte. War das Liebe?
    Statt meine Gedanken zu äußern, fragte ich: »Wer hat das gesagt?«
    »Na, wer schon?«, erwiderte Leo mit einem kleinen Lächeln. »Shakespeare.
Ein Sommernachtstraum.
Du solltest es irgendwann mal lesen.«
    Zum ersten Mal überlegte ich, ob ich vielleicht tatsächlich ein Theaterstück oder ein Gedicht oder einen Roman lesen sollte. Vielleicht bekamen verliebte Menschen – wenn es das war, was mit mir passierte – das Bedürfnis, schöne Dinge zu lesen, zu hören, zu sehen. Obwohl es mir im Augenblick, mit den brennenden Kerzen um uns herum und dem erstickten Dröhnen des Ozeans draußen vor unserer felsigen Enklave, eher so vorkam, als befänden sich Leo und ich höchstpersönlich mitten in einem Sommernachtstraum.
    Was unsere drohende Trennung nur noch mehr bittersüß machte.
    »Ich wünschte bloß … dass New York und Selkie nicht so weit voneinander entfernt wären«, sagte ich leise undhörte das Zittern in meiner Stimme. »Hast du eigentlich eine E-Mail-Adresse? Oder …«
    »Miranda«, sagte Leo und drückte seine Stirn an meine. »Hör doch einmal auf, ans Praktische und die Logistik zu denken. Lass es einfach fließen. Okay?« Sein schiefes Lächeln war entwaffnend wie immer.
    »Okay, Alter«, sagte ich grinsend und brachte damit auch ihn zum Lachen.
    Im nächsten Augenblick küssten wir uns. Erst sanft, dann mit zunehmender Intensität. Ich war süchtig nach dem Geschmack von Leos salzigem, süßem Mund, dem Druck seiner Lippen auf meinen. Es ist

Weitere Kostenlose Bücher