Der Junge aus dem Meer
leise Musik, zwei Mädchen unterhielten sich kichernd über irgendeinen Abteilungsleiter, und ein Mann mit einem schwarzen Homburg auf dem Kopf machte ein Gesicht, als ob er Sorgen hätte.
Herr Kubatz wurde durch zwei Vorzimmer geschleust, bis man ihn dann bei einer platinblonden Sekretärin ablieferte. Sie lächelte ihn so freundlich an wie eine Ansagerin im Fernsehen, die noch daran glaubt, daß die Sendung, die sie jetzt ankündigt, ungeheuer lustig ist.
Herr Kubatz holte seine Visitenkarte aus der Tasche und bat um ein Gespräch mit dem Chefredakteur.
„Das wird schwierig sein, wenn Sie nicht angemeldet sind“, meinte die platinblonde Sekretärin besorgt und fragte dann: „Wissen Sie zufällig, unter welcher Nummer Ihre Zeitung bei uns geführt wird?“
„Eintausendzweiundzwanzig“, antwortete Herr Kubatz bescheiden. „Es wäre sehr dringend, und immerhin habe ich mir deshalb eine Flugreise ans Bein gebunden.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, versicherte die Platinblonde. „Nehmen Sie doch einstweilen Platz.“ Danach verschwand sie hinter einer breiten, gepolsterten Mahagonitür. Sie bewegte sich ein wenig wie eine Schlange.
Schon zwei Minuten später kam sie zurück, lächelte wieder und verkündete: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber Herr Doktor Splettstößer läßt bitten.“
„Enorm freundlich“, sagte Herr Kubatz und spazierte an der Platinblonden vorbei in das Zimmer des Chefredakteurs.
Dr. Splettstößer richtete sich hinter einem Schreibtisch auf, der beinahe so groß war, daß man mit einem Hubschrauber hätte darauf landen können. Er hatte eine Glatze, einen Bauch und zwei große Ringe an der linken Hand. Sein Anzug sah aus, als hätte er ihn gerade vor zehn Minuten bei einem piekfeinen Herrenschneider aus dem Schaufenster geklaut.
„Ich freue mich immer, einen unserer Kunden persönlich kennenzulernen“, sagte der Chefredakteur.
Als sich daraufhin Herr Kubatz entschuldigte, weil er so unangemeldet hereingeschneit sei, kam die platinblonde Sekretärin durch die Mahagonitür gehuscht und legte wortlos eine Akte auf den Schreibtisch.
„Besten Dank“, meinte Dr. Splettstößer und wandte sich wieder seinem Besucher zu. „Vielleicht wollen Sie sich in den verschiedenen Stockwerken umsehen, wenn Sie schon einmal hier sind. Immerhin verfügen wir über die modernsten Einrichtungen mit Fotos und Nachrichten aus aller Welt. Natürlich auch über Satelliten.“ Dabei war der Chefredakteur hinter seinen Schreibtisch gewandert und blätterte jetzt wie beiläufig in der Akte, die ihm seine Sekretärin so diskret bereitgelegt hatte.
„Aha“, dachte Herr Kubatz. Er hatte nämlich auf dem Umschlagdeckel die Nummer eintausendzweiundzwanzig entdeckt. „Leider sind wir nur eine regionale Provinzzeitung“, bemerkte er jetzt.
„Die Bad Rittershuder Nachrichten sind mir aber nicht unbekannt“, entgegnete Dr. Splettstößer höflich. „Und wie ich sehe, ist Ihre Auflage im Steigen. Das kann man heutzutage nicht von jeder Zeitung behaupten.“
„Wir sind zufrieden“, versicherte Herr Kubatz. „Und das Material, das wir laufend von Ihnen beziehen, hat uns bestimmt geholfen. Ihre Nachrichten sind immer brandneu und Ihre Funkfotos allererste Klasse.“ Er griff jetzt in seine Tasche und holte einen Rollfilm heraus. „Womit wir beim Thema wären. Ihre Zeit ist bestimmt kostbar, und ich will mich ganz kurz fassen. Ich habe nämlich eine außerordentliche Bitte.“
„Was kann ich für Sie tun, mein Lieber?“ fragte Dr. Splettstößer. „Haben Sie übrigens schon die Aussicht bemerkt?“ Durch das riesige Fenster konnte man den Michel sehen und hinter ihm einen Teil des Hafens.
„Sehr eindrucksvoll“, gab Herr Kubatz zu, und dann fing er an zu schwindeln. Er hatte sich eine Geschichte zurechtgelegt von einem Jungen, der ausgerechnet auch noch der Sohn des Bürgermeisters von Bad Rittershude sei und der hier in Hamburg heute vormittag für seine Heimatstadt ein Tennisturnier gewonnen habe. Immerhin gegen Rot-Weiß Hamburg. Er sei jetzt auf dem besten Weg zum Jugendmeister, und sein Städtchen sei natürlich ungeheuer stolz auf ihn.
„Dabei noch der Sohn des Bürgermeisters, wie gesagt, und wir haben in zwei Wochen Gemeindewahlen.“ Herr Kubatz war jetzt beinahe selbst von der Wahrheit seiner Geschichte überzeugt. „Ich habe nun diesen Jungen fotografieren lassen, und wenn wir bereits morgen früh in unserer Zeitung zusammen mit dem Bericht auch ein Bild
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