Der Junge aus dem Meer
übrigen und dem Filmnegativ in sein Jackett zurück. „Besten Dank, Herr Braumüller, Sie können sich gar nicht denken, wie sehr Sie mir geholfen haben.“
Der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten hatte jetzt sogar noch genügend Zeit, um sich in ein Café an der Alster zu setzen. Er bestellte ein belegtes Brot und ein Glas Rotwein. Immerhin hatte er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.
Auf dem Rückflug hatte er einen Fensterplatz, konnte beim Start auf ganz Hamburg hinunterblicken und auf den Hafen bis zur Elbemündung. Er war sehr zufrieden mit sich.
Als sie gerade Dithmarschen überflogen, fragte der Passagier, der neben Herrn Kubatz saß, auf einmal: „Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns ein wenig unterhalten? Das würde mich ablenken.“
„Ablenken wovon, wenn ich fragen darf?“ erwiderte Herr Kubatz verwundert.
„Ich habe Angst vor dem Fliegen, müssen Sie wissen. Und wenn ich immer nur auf die Rücken der anderen Passagiere starren muß, möchte ich am liebsten die Notbremse ziehen und aussteigen. Eine Unterhaltung würde mich ablenken, wie gesagt.“
„Unterhalten wir uns also“, schmunzelte Herr Kubatz. „Und um einen Anfang zu machen, könnte ich Sie zuerst einmal fragen, wo Sie auf der Insel Ihren Urlaub verbringen werden?“
„Ich bin gar kein Feriengast“, antwortete der Passagier. Er sprach gebrochen deutsch und hatte sich für seine etwa fünfzig Jahre ziemlich auffallend angezogen. Seine Krawatte war zu bunt, und die Karos auf seiner Jacke waren zu groß. Er hatte ein sanftes Gesicht mit Schweinsäuglein, deren Lider in den Winkeln etwas herabgezogen waren. Dadurch wirkte er irgendwie betrübt.
Bereits über den Halligen wußte der Chefredakteur der Bad Rittershuder Nachrichten den Namen seines Nachbarn, daß ihm das Unternehmen INTERNATIONAL ARTISTIK gehörte und daß er Italiener war.
„Mein lieber Herr Morgano“, lachte Herr Kubatz, „dann bin ich heute mittag beinahe zu spät zum Flughafen gekommen, weil einer Ihrer Wagen quer über der Straße stand.“
„Ja, Achsenbruch, man hat es mir schon telefonisch durchgesagt“, meinte der Chef der INTERNATIONALEN ARTISTIK bekümmert. „Daß ausgerechnet Sie dadurch in Schwierigkeiten gekommen sind, tut mir leid. Aber vielleicht kann ich es wiedergutmachen.“ Dabei öffnete er bereits eine schmale Tasche aus Krokodilleder, holte ein buntbedrucktes Papier heraus und faltete es auseinander: „Das ist unser Programm. Darf ich mich mit einer Einladung revanchieren?“
Und jetzt stellte es sich heraus, daß Herr Morgano mit seinen Artisten zur Zeit eine Art Bäderreise machte. Von Borkum und Norderney bis Dänemark. Und da es wohl genug Feriengäste gab, die sich abends langweilten, waren seine Vorstellungen meistens ausverkauft.
„Wenn vorhanden, spielen wir in einem Saal“, erklärte Herr Morgano. „Wenn nicht vorhanden, haben wir ein eigenes großes Zelt wie ein Zirkus. Und ab morgen gastieren wir zwei Abende hintereinander auf Sylt. Bitte besuchen Sie uns, Herr Kubatz. Rufen Sie einfach vorher an, und ich reserviere Ihnen dann die besten Plätze. Natürlich ist auch Ihre Familie eingeladen.“
„Vorsicht“, lachte Herr Kubatz, „das wäre fast eine komplette Fußballmannschaft.“
Spätestens übermorgen ist die Hölle los
Als die Turboprop auf Sylt gelandet war, drängelte sich Herr Kubatz an den übrigen Passagieren vorbei und eilte in die nächstbeste Telefonzelle. Während er die Nummer der Bad Rittershuder Nachrichten wählte, blickte er auf seine Armbanduhr.
Dieses Mal war Redakteur Hildesheimer gleich persönlich am Apparat.
„Ich konnte aus Hamburg nicht ganz so sprechen, wie ich wollte“, entschuldigte sich Herr Kubatz.
„Das habe ich begriffen“, erwiderte der Redakteur. „Aber Sie hatten mir das Foto ja angekündigt. Nur daß es wie aus heiterem Himmel plötzlich per Funk über die Agentur kam, das hat mich doch verblüfft. Sind Sie sicher, daß wir das Bild als einzige Zeitung empfangen haben?“
„Ganz sicher“, antwortete Herr Kubatz. „Und die Originale habe ich alle wieder mitgenommen und hier in meiner Jackentasche. Den Film natürlich auch. Die Qualität ist wirklich gut?“
„Könnte nicht besser sein“, berichtete Redakteur Hildesheimer. „Gestochen scharf. Sieht übrigens sehr nett und rührend aus, der Junge. Die Leser werden vor Mitleid zerfließen.“
„Wie groß haben Sie das Foto aufgemacht?“
„Zweispaltig und zusammen mit Ihrem Artikel auf der
Weitere Kostenlose Bücher