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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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entlangführt. Hier gibt es Dünen und Strände und das endlose Wasser, ein paar Holzschuppen und einige Dörfer. Die Sonne scheint in dem blau-blau-blauen Himmel, und das Meer glitzert, und der Wind weht sanft, und auf den Wellen tanzen Boote. Dostojewski ist überglücklich.
    „Das is das Leben, Stan!“, ruft er. „Die weite Straße! Die Welt liegt uns zu Füßen! Wir sind frei und ungebunden und sorglos!“
    Er weicht einem Schlagloch mitten auf der Fahrbahn aus. Er strahlt Stan im Rückspiegel an.
    „Was denkste? Wie fühlste dich, so sorglos, he?“
    Stan schaut zur Seite. Er taucht die Finger in das Fischbecken. Er betrachtet die vorbeiwandernden Dünen. Er fängt an, sich zu fragen, ob er wirklich das Richtige getan hat. Warum hat er allem, was er je geliebt hat, den Rücken gekehrt? Was um alles in der Welt ist in ihn gefahren?
    Nitascha rutscht auf ihrem Sitz hin und her und grinst. „Er heult!“, verkündet sie.
    „Nein, tue ich nicht!“, widerspricht Stan.
    Dostojewski betrachtet den Jungen aufmerksam. „Es is ganz normal, in so ’ner Situation zu heulen“, sagt er. „Du würdst selbst heulen, Nitascha, wenn du gemacht hättst, was er grad gemacht hat. Wie steht’s, Stan? Bereust du’s schon? Sag!“
    Stan bemüht sich um eine feste Stimme. Er weicht Nitaschas Blick aus. „Nein“, sagt er, aber es ist kaum mehr als ein Flüstern.
    „Vermisste deine Leute?“, bohrt Dostojewski weiter.
    Stan blickt dem Mann in die Augen. „Ein kleines bisschen, Herr Dostojewski“, sagt er schließlich.
    Nitascha unterdrückt ein Kichern.
    Dostojewski zwinkert Stan im Rückspiegel zu. „Hab ich mir gedacht. Aber keine Sorge“, sagt er, „du wirst dich bald an alles gewöhnen. Du wirst dich dran gewöhnen, wie es ist, wenn man frei und sorglos ist. Stimmt’s, Nitascha?“
    „Klar“, schnaubt Nitascha.
    Stan senkt den Blick. Sei tapfer , denkt er.
    „Und es dauert nich lang, da haste deine Leute vergessen“, sagt Dostojewski. „Stimmt’s, Nitascha?“
    „Ja!“, knurrt Nitascha. „Oh ja.“
    „Richtig!“, sagt Dostojewski. „Also mach dir keine Sorgen, mein Jung. Wir sin jetzt deine Familie und wir kümmern uns um dich.“
    Er tritt das Gaspedal durch. Der Motor brüllt auf. Der Landrover und der bis unters Dach mit Plastikenten vollgestopfte Wohnwagen brausen über die Landstraße.
    Stan lehnt sich zurück. Er sagt sich, dass er das Richtige getan hat. Er sagt sich, dass alles gut werden wird. Er sagt sich, dass er tapfer sein muss. Aber trotzdem kann er die Tränen kaum unterdrücken.

Vierzehn
    Sie fahren und fahren. Dostojewski und Nitascha essen Hackfleischpastete und Süßigkeiten, die sie unterwegs in einer Raststätte gekauft haben. Nitascha wirft ein paar Süßigkeiten über ihre Schulter: Schokoladenkugeln mit Erdnüssen, Gummibärchen, Pfefferminzbonbons, Kaugummis und saure Apfelringe. Sie fallen in Stans Schoß, auf den Sitz neben ihm und auf den Boden. Er starrt hinaus in die Welt, die immer größer und größer zu werden scheint, je weiter sie fahren.

    „Du musst was essen“, sagt Dostojewski. „Du musst bei Kräften bleiben. Es is kein leichtes Leben auf’m Jahrmarkt, das kann ich dir sagen.“

    Stan leckt an den Brauseherzen, auf denen „Küss mich“ und „Du bist süß“ steht. Er kaut an einem blauen Apfelring. Er lässt die Finger in das Fischbecken hängen und fühlt die Flossen, die Schwänze und die winzigen Mäuler zart an seiner Haut. Vor und hinter ihnen fahren andere Schausteller des Jahrmarkts. Eine riesige Geisterbahnwand rollt an ihnen vorbei. Später begegnen sie einem Campingbus. Eine bärtige Frau und eine Frau mit einem tätowierten Gesicht winken fröhlich aus dem Fenster. Dostojewski winkt zurück und hupt lautstark.

    Der Tag zieht dahin und das Licht vergeht. Die Sonne senkt sich hinab auf das dunkler werdende Meer. In der Ferne taucht eine Stadt auf: Türme und Wolkenkratzer und Zinnen. Dostojewski jubelt.
    „Das is’n guter Ort!“, brüllt er. „An diesem Ort wird dringend eine Entenbude gebraucht!“
    Sie fahren durch die Außenbezirke der Stadt und bleiben an einer roten Ampel stehen. Ein Polizist tritt hinaus auf die Fahrbahn. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, baut er sich vor dem Landrover auf.
    „Benimm dich, Stan!“, zischt Dostojewski.
    Der Polizist schlendert zur Fahrertür. „Gehören Sie zum Jahrmarkt?“, fragt er.
    „Jawohl, Herr Polizist“, sagt Dostojewski.
    „Name?“
    „Wilfred Dostojewski, Herr Polizist. Und das

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