Der Junge, der mit den Piranhas schwamm
spektakuläre Pancho Pirelli, das Juwel des Jahrmarkts. Aber wieso denken Sie, dass Sie über Stan reden könnten, als wäre er ein Sklave oder so was? Als ob das nicht seine Entscheidung wäre?“
Voller Erstaunen betrachtet Dostojewski seine Tochter. „Bravo, Nitascha“, murmelt er.
„Pah!“, ruft sie. „Hör bloß auf mit deinem ‚Bravo, Nitascha‘. Du bist auch nicht besser als der da. ‚Schrubb die Enten, füll das Becken, pass auf den Stand auf, kauf die Fische! Oh, Stan, du bist ja so was Besonderes! Oh, Stan, wir lieben dich so sehr!‘ Aber wenn’s drauf ankommt, hat er doch nix zu sagen! Der arme Junge weiß überhaupt nicht, ob er kommt oder geht. Stimmt’s, Stan?“
„Ähm … wie bitte?“, fragt Stan.
„Ich sag, du weißt nicht, ob du kommst oder gehst, stimmt’s? Klar stimmt das! Ich weiß zwar nicht, warum er noch hier ist, aber wenn’s nach Stan ginge, dann wäre er wieder zu Hause in der … wie heißt das doch gleich, Stan?“
„Fischzuchtgasse“, sagt Stan.
„Genau!“, sagt Nitascha. „Dann wäre er wieder zu Hause in der Fischzuchtgasse. Aber nein, er schrubbt die Enten, füllt das Becken, kauft die vermaledeiten Fische …“
„Pst“, sagt Stan.
„Hä?“, sagt Nitascha.
„Sei still.“
„Ich will denen doch bloß klarmachen, dass sie dich fragen sollen, was du willst.“
„Ich weiß“, sagt Stan.
„Also, was willst du?“
Stan seufzt. „Ich will frühstücken.“
„Du willst frühstücken?“, wiederholt Dostojewski ungläubig.
„Ja. Ich will heiße Schokolade und Toast und ich will mich an einen Tisch setzen und ordentlich essen, so wie früher.“
„Also schön“, sagt Dostojewski.
„Also schön“, sagt Pirelli.
„Und ich will, dass ihr ruhig seid und euch nicht streitet, während ich esse“, setzt Stan hinzu.
„Okay“, sagt Dostojewski. „Frühstück. Ich vermute mal, auch dafür gibt’s einen Lieferanten. Wollen Sie mir suchen helfen, Herr Pirelli?“
Pancho schaut Stan an. „Möchtest du, dass ich ihm helfe?“, fragt er.
„Ja!“, sagt Stan.
Und so gehen die beiden Männer ins Herz des Jahrmarkts.
Dreiunddreißig
„Männer!“, schimpft Nitascha. Sie setzt sich auf die Treppe zum Wohnwagen. „ Willst du denn der nächste Pancho Pirelli sein?“, fragt sie Stan.
„Keine Ahnung. Ich habe noch nie etwas wirklich gewollt.“
„Es sieht sehr gefährlich aus.“
„Das stimmt. Aber als ich Pancho Pirelli mit den Piranhas schwimmen sah, wusste ich, dass ich das auch könnte.“
„ Das könntest du?“
„Ja. Ich hatte Angst, aber ich kann mich in Pirelli reinversetzen. Und ich weiß auch irgendwie, wie es sich anfühlt, ein Fisch zu sein.“
„ Was?“ , ruft Nitascha aus.
„Ich weiß, das klingt verrückt. Aber so ist es.“
Nitascha lacht. Sie steht auf, geht zu Stan, hebt den Kragen seines Hemdes und betrachtet seinen Rücken.
„Was machst du da?“, fragt Stan.
„Ich suche deine Flossen“, sagt sie.
Stan lacht. Er macht seinen Mund rund und klappt ihn auf und zu: O O O O.
„Aber“, sagt er, „in einem irrst du dich. Ich will nicht mehr in die Fischzuchtgasse zurück. Ich würde gerne den Amazonas und den Orinoko sehen. Das wäre mal etwas anderes. Aber zuerst muss ich noch etwas erledigen.“
„Du musst die Sache mit deiner Tante und deinem Onkel klären“, sagt Nitascha.
„Ja“, sagt Stan.
Nitascha seufzt. „Tut mir leid, dass ich so garstig zu dir war“, sagt sie.
„Schon in Ordnung.“
„Nein, ist es nicht. Es tut mir wirklich leid. Glaubst du, dass sie nach dir suchen?“
„Hä?“, sagt Stan.
„Glaubst du, dass sie dich vermissen und nach dir suchen?“
Stan zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Er denkt an Ernie und daran, wie verrückt er zum Schluss war. Vielleicht ist er noch verrückter geworden.
„Haben sie dich geliebt?“, fragt Nitascha.
„Oh ja“, sagt Stan.
„Dann suchen sie nach dir. Und vielleicht finden sie dich ja.“
„Vielleicht. Aber wenn sie mich finden, dann finden sie einen anderen Stan als den, nach dem sie gesucht haben.“
Nitascha grinst. „Sie finden einen Stan, der ein bisschen wie ein Fisch geworden ist.“
„Ja“, sagt Stan, und einen Augenblick lang denkt er an Annie und Ernie. Er hofft, dass sie ihn vermissen. Er hofft, dass sie nach ihm suchen.
Dann schaut er wieder Nitascha an. Sie ist jetzt so anders. Sie hat sich auch verändert. „Und was willst du?“ , fragt er.
Sie lacht. „Ich will die hässlichste, fetteste
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