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Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Der Junge, der mit den Piranhas schwamm

Titel: Der Junge, der mit den Piranhas schwamm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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Augen.
    „Das war ein großer Erfolg“, sagt Pancho.
    „Aber das war doch leicht!“, sagt Stan.
    „Vielleicht für dich. Aber du bist ja auch Stanley Potts. Für die meisten Leute ist der innere Piranha genauso schlimm wie der äußere. Sich einen Piranha vorzustellen, macht meist genauso viel Angst, wie in ein Piranha-Becken zu steigen. Hier, trink noch etwas schwarze Brause.“
    Stan trinkt die Brause. Er schaut zu dem Becken hinüber. Ein halbes Dutzend Piranhas haben sich versammelt, ganz am Rand, und schauen in seine Richtung.
    Hallo, meine Gefährten , sagt er im Stillen. Hallo , hört er die Antwort in seinem Inneren.

Sechsunddreißig
    „Herr Pirelli“, sagt Stan.
    „Ja?“
    „Die Ausbildung kommt mir nicht besonders … durchdacht vor.“
    „Du hast Recht, das ist sie nicht. Es ist nämlich so: Ich hatte noch nie zuvor einen Schüler. Und der Stanley Potts zu werden, hat auch nicht viel mit Training zu tun. Dabei geht es hauptsächlich um Glauben. Um Träume. Wenn du nachts im Wohnwagen bei Herrn Dostojewski und Nitascha liegst und schläfst, dann will ich, dass du davon träumst, mit Piranhas zu schwimmen. Ich will, dass du von deiner Kindheit am Orinoko träumst. Schaffst du das?“
    „Ja“, sagt Stan. „Hat Pedro Perdito Sie auch so ausgebildet?“
    „Nein“, sagt Pirelli.
    „Und wie dann?“
    „Er hat mich ins Becken geworfen.“
    „ Er hat Sie ins Becken geworfen?!“ , schreit Stan.
    „Ja. Er war sich sicher, dass ich der nächste Pedro Perdito werden würde. Dass es mein Schicksal war. Aber er sagte auch, dass es nur eine einzige Möglichkeit gebe, ganz sicher zu sein. Und so packte er mich, schleppte mich die Leiter hinauf und warf mich einfach hinein.“
    „Und was ist passiert?“
    „Nichts. Ich habe eine Weile herumgeplanscht, Pedro hat zugeschaut und die Fische sind fröhlich um mich herumgeschwommen. Dann hat mich Pedro wieder herausgeholt. Er sagte, ich sei der Richtige, gab mir eine Badehose und einen Umhang, und das war’s.“
    Stan starrt von sich hin. Nervös kaut er an seiner Lippe.
    „Das war früher“, sagt Pirelli. „Das war eine andere Welt damals. Es lief alles ein bisschen anders.“
    Stan schließt die Augen. Er sieht einen Jungen wie sich selbst, der vor vielen Jahren ins Wasser geworfen wurde.
    „Warum haben die Piranhas Sie nicht gefressen?“, fragt er. „Warum haben sie Sie all die Jahre nicht gefressen?“
    Pirelli lächelt. „Das ist die Frage, nicht wahr?“, sagt er. „Das ist die einzige Frage, die zählt. Sie fressen mich nicht, weil sie wissen, dass ich nicht zum Fressen da bin. Sie fressen mich nicht, weil ich Pancho Pirelli bin.“
    „Und mich werden sie nicht fressen, weil ich Stanley Potts bin.“
    „Korrekt.“
    Stan schaut die Fische an, die elegant durch das Wasser gleiten. Er schaut hinter sich. Kitzel-Peter starrt düster auf das Becken. Der Ebermann ist auch da und kaut auf einem Stück Fleisch herum. Die Dame aus dem Spukhaus grinst ihn mit ihren falschen Dracula-Zähnen an. Ein Stück weiter hinten entdeckt er Nitascha und Dostojewski zwischen den Buden; sie sind auf dem Weg zu ihm.
    „Es gibt noch ein weiteres Geheimnis“, sagt Pancho plötzlich.
    „Was für ein Geheimnis?“, will Stan wissen.
    „Ein Geheimnis, das nur jenen anvertraut werden kann, die mit den Piranhas schwimmen.“
    „Leuten wie mir?“
    „Ja.“
    „Was ist es?“
    Pancho schaut über beide Schultern nach hinten, ehe er sich zu Stan vorbeugt. „Du wirst es niemandem verraten?“, fragt er im Flüsterton.
    „Niemandem“, verspricht Stan.
    „Okay. Die Geschichten über Piranhas, die Leute auffressen und bis auf die Knochen abnagen – tja, das sind bloß … Geschichten.“
    „Sie meinen, Piranhas machen so was gar nicht?“
    „Na ja, schon. Aber nicht sehr oft. Natürlich kann man nie sicher sein. Jedes Mal, wenn ich ins Becken tauche, ist da diese kleine Sorge: Wird heute mein Schicksalstag sein?“
    Stan denkt nach. „Also, diese ganze Sache von wegen ‚ der Stanley Potts sein‘“, sagt er, „und ‚eine lebende Legende‘, das spielt keine Rolle?“
    „Aber natürlich!“, ruft Pancho. „Du bist ein Artist. Du musst ein Held sein und eine Menge an Bewunderern um dich versammeln. Und die Fische werden darauf reagieren. Sie sehen vielleicht nicht besonders klug aus, aber sie erkennen einen wahren Artisten, wenn er in ihrem Becken auftaucht.“
    Die beiden drehen sich um und betrachten die Fische. Die Fische betrachten Pancho und

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