Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
das Boot und schließt die Tür zum Schuppen auf. Nanna spürt den kühlen feuchten Sand unter ihren Füßen. Um ein Haar verliert sie das Gleichgewicht und muss sich mit einem Bein abfangen. Der weiche Untergrund ist so ungewohnt. Fride läuft vor bis ans Wasser und setzt sich in den Sand. Sie fährt mit der Hand durch die Wellen und nimmt die Finger in den Mund.
»Das ist salzig«, ruft sie und spuckt aus.
»Leise«, sagt Nanna. »Sei still. Natürlich ist es das. Du weißt doch, dass das Meer salzig ist.«
»Ja. Aber ich habe es nicht geglaubt«, sagt Fride.
Nanna setzt sich zu ihr und hält auch eine Hand ins Wasser. Es ist nicht kalt, nur ein bisschen kühl.
»Hast du hier gebadet?«, fragt Fride.
»Ich glaube schon«, sagt Nanna.
»Wie war das?«
»Ich kann mich nicht mehr so richtig daran erinnern.«
»Ich hätte Lust, jetzt zu baden«, sagt Fride.
»Kommt her und helft mir«, ruft Papa vom Steg aus.
Er versucht, das Boot umzudrehen und Nanna stellt sich neben ihn und schiebt mit. Die vertrockneten Tangreste fallen ab, als das Boot kippt.
»Dann wollen wir mal sehen, ob es noch schwimmt. Haltet das Tau fest, ich ziehe es ins Wasser.«
Langsam rutscht das Boot über die Kante.
»Schaut mal, wie gut es im Wasser liegt. Ich gehe in den Schuppen und hole die Sachen.«
Papa bringt Angelausrüstung und Ruder, legt alles ins Boot und hilft Nanna und Fride in den Bug. Bevor er selbst an Bord geht, lässt er den Blick lange über das Meer und die Schären schweifen. Mit einem Fuß auf dem Bootsrand stößt er sich ab und während das Boot vom Steg weggleitet, setzt er sich auf die Ruderbank und fängt an zu rudern.
Fride und Nanna sitzen im Bug und schauen zu, wie sich das Wasser vor ihnen teilt. Das Meer gluckst um das Boot, dass es eine Freude ist.
»Was ist das für ein Geräusch? Ist das ein Fisch?«, fragt Fride und beugt sich über die Reling.
»Häng dich nie aus dem Boot«, sagt Papa streng und Fride richtet sich auf.
Dann lächelt er und sagt: »Nein. Das ist kein Fisch. Das Meer macht die Geräusche.«
Fride lehnt sich wieder vorsichtig zur Reling vor und guckt nach unten.
Papa rudert langsam in die Mitte der Bucht und nimmt die Ruder aus dem Wasser.
»Willst du es mal versuchen?«, fragt er Nanna.
»Gerne. Denkst du, ich schaffe das?«
»Ja, natürlich. Komm, setz dich vor mich, dann zeige ich dir, wie es geht.«
Nanna setzt sich auf die Ruderbank zwischen Papas Beine. Fride schaut ihr gespannt zu. Nanna legt ihre Hände auf Papas und folgt seinen Bewegungen. Das Boot gleitet vorwärts, als hätte es nie etwas anderes getan. Papa lässt los und schlagartig spürt sie das Gewicht der Ruder und den Widerstand im Wasser.
»Versuch, einen guten Rhythmus zu finden«, sagt er.
Sobald Nanna alleine rudert, verliert das Boot an Fahrt. Die Ruder sind schwer und verdrehen sich. Das eine Ruderblatt taucht tief ins Wasser ein, während das andere flach auf die Oberfläche prallt.
»Ich kann das nicht«, sagt Nanna.
»Versuch es weiter. Es ist wichtig, dass du es lernst.«
Nanna macht weiter. Die Ruder wollen nicht. Arme und Rücken schmerzen.
»Nur noch ein Mal«, sagt Papa.
Nanna nimmt die Ruder und hält sie auf einer Höhe. Dann taucht sie beide gleich tief ein und zieht sie vorsichtig zu sich. Das Boot nimmt wieder Fahrt auf. Wenn sie beide Rudergleichmäßig bewegt, ist es leichter. Sie rudert noch drei, vier Schläge nur zum Spaß, dann übernimmt Papa wieder.
»Das ging ja prima«, sagt er und lächelt.
Nanna nickt und lächelt zurück. Papa rudert mit kräftigen Zügen. Draußen vor der kleinen Insel, die mitten in der Bucht liegt und sie gegen das Meer abschirmt, sind die Wellen höher und das Boot wippt auf und ab.
»Wohin fahren wir?«, fragt Fride.
»Wir müssen raus auf den Fjord, aber ich will zwischen den Schären bleiben. Dann kann man uns nicht so leicht sehen. Seid jetzt ein bisschen leise. Ich muss mich konzentrieren.«
Papa sieht sich um, als würde er etwas suchen. Er späht in Richtung Land und zum Leuchtturm. Nanna schaut zu den Schären. Auf einer von ihnen steht ein Haus. Ein weißes Haus mit dunklen Fenstern. Sie schaudert. Was, wenn dort jemand ist?
Als könnte Papa ihre Gedanken lesen, sagt er: »Ich glaube nicht, dass in dem Haus jemand wohnt. Es ist schon verfallen, solange ich denken kann. Und ich habe es die ganze Nacht nicht aus den Augen gelassen«, sagt er und holt die Ruder ein. »Da wären wir.«
Aber Nanna merkt, dass er nervös ist. Er sieht
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