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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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dem Licht?«, ruft Nanna.
    »Bei dem Wetter kann niemand was sehen«, sagt er und schließt die Terrassentür.
    Sturmböen rütteln am Haus und Regen trommelt gegen die Scheiben. Papa schiebt das Sofa vor den Kamin.
    »Setzt euch«, sagt er und hustet.
    Fride und Nanna kuscheln sich in die verstaubten Decken, Papa holt sich eine kleine Reisedecke und setzt sich ans andere Ende des Sofas. Abgesehen vom warmen Schein des Kamins ist es ganz dunkel im Wohnzimmer. Das Holz knistert und knackt und nach und nach breitet sich eine wohlige Wärme in ihren Körpern aus. Nanna denkt, dass es noch nie gemütlicher war als jetzt, dass der Sturm, der draußen tobt, gar keine Rolle spielt. Wichtig ist nur, dass sie hier sind, zusammen, und nicht durchgefroren und nass im dunklen Bunker. Sie sitzen gemeinsam vor dem Kamin und Nanna schaut sich um. Die vielen Bücher im Regal und die alten Bilder an der Wand. Das Hochzeitsfoto von Mama und Papa drüben an der Tür zum Flur. Das große Barometer. Papa hat ihnen erklärt, dass mandagegen klopfen muss, um zu sehen, ob sich die Wetterlage ändern wird. Sie ist froh, dass sie hier sind und nicht nach unten müssen. Vielleicht ist es sogar sicher genug, dass sie bald hier oben in den Schlafzimmern schlafen dürfen.
    »Das Angeln war wohl doch keine so gute Idee«, sagt Papa und versucht zu lächeln, obwohl er zittert.
    »Frierst du immer noch?«, fragt Nanna.
    »Nein, nein, ich bin nur ein bisschen erkältet. Das geht vorbei. Aber ich muss etwas mit euch besprechen.«
    Nanna bekommt Angst. Fride liegt dösend neben ihr und Nanna nimmt ihre Hand.
    »Was denn?«
    »Ich muss in die Stadt, um Essen für uns zu finden. Uns bleibt nichts anderes übrig.«
    »Können wir nicht noch mal versuchen zu angeln?«
    »Wir würden doch nichts fangen. Und ich bin nicht lange weg. Höchstens ein paar Tage. Es ist nicht weit bis in die Stadt.«
    »In die Stadt?«, sagt Fride schläfrig. »Willst du Mama finden?«
    Papa antwortet nicht.
    »Wie sollen wir ohne dich klarkommen?«, fragt Nanna.
    »Das schafft ihr. Ihr habt genug Essen und mir ist eine Methode eingefallen, wie ihr im Notfall um Hilfe rufen könnt.«
    »Wie denn?«
    »Weißt du, was eine Bake ist?«
    »Nein.«
    »Früher, als es noch kein Telefon oder Radio gab, hat man hoch oben auf einer Felskuppe, die weithin sichtbar war, Feuerholz aufgeschichtet. Im Krieg oder wenn die Menschen angegriffen wurden, hat man das Feuer entfacht und dann zündeteweiter weg jemand das nächste an. Und immer so weiter. So konnte man sich gegenseitig warnen.«
    »Was hat das mit uns zu tun?«
    »Der höchste Punkt der Insel ist von der Stadt aus zu sehen. Früher konnte man die Lichter der Stadt vom Wohnzimmerfenster aus erkennen. Wir werden morgen eine Bake bauen, die ihr anzünden könnte, falls etwas passiert. O.k.?«
    »O.k.«
    Papa stopft die Decken um sie fest und legt Feuerholz nach.
    »Jetzt müssen wir schlafen«, sagt er und legt den Kopf auf die Armlehne.
    Er fängt fast sofort an zu schnarchen.
    Nanna kann nicht einschlafen. Sie bleibt sitzen und lauscht dem Sturm, schaut in den Kamin und denkt darüber nach, wie sie alleine zurechtkommen werden.
    »Geht Papa in die Stadt?«, fragt Fride und öffnet die Augen.
    »Ja. Er holt Essen für uns.«
    »Glaubst du, dass er Mama finden wird?«
    »Nein.«
    »Ich schon. Ich weiß, dass sie lebt. Ich kann das fühlen.«
    »Wie willst du das denn fühlen können?«
    »In meinem Herzen, wo sonst. Sie ist in der Stadt. Ich weiß es«, sagt Fride und macht die Augen wieder zu.
    Nanna bleibt sitzen und forscht nach, ob sie in ihrem Herzen auch etwas fühlen kann, aber es gelingt ihr nicht. Fride schmatzt leise, legt den Zeigefinger an die Nase und rollt sich zusammen. Das Holz im Kamin glimmt schwach und ab und zu, wenn ein Windstoß durch den Kamin fegt, flackern kleine Flammen auf.

8
    Haus und Bucht liegen tief unter ihnen, genau wie der Schärengarten mit seinen Inseln und die kleinen Felsen, die von Wellen überspült werden. Der Wind weht frisch und zerzaust ihnen die Haare. Je höher sie kommen, umso weniger Gras sehen sie und schließlich gibt es nur noch verkrüppelte Wacholderbüsche, die sich vor dem Wind flach auf den Fels ducken.
    Der Weg zum höchsten Punkt der Insel ist steil. Papa geht voraus, er trägt eine große Ladung Holz auf dem Rücken. Fride und Nanna gehen hinter ihm, auch sie tragen Zweige und Äste. Die krummen Hölzer kratzen am Rücken.
    »Sind wir bald da?«, ruft Fride.
    »Ja, bald«, ruft

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