Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
sie beide kaum an. Sein Blick geht die ganze Zeit zum Festland hinüber. Nicht einmal als er die Angelschnüre mit den bunten Haken vorbereitet, schaut er nach unten.
»Darf ich es auch probieren?«, fragt Fride.
»Na klar. Alle sollen angeln.«
Papa hilft Fride, die Angel auszuwerfen, reicht Nanna auch eine und wirft dann seine eigene aus. Ein leichter Wind weht und die Wellen haben kleine Schaumkronen auf den Spitzen.
»Lasst die Schnüre einfach treiben. Das Zittern, das ihr spürt, ist nur das Wasser. Was wir wollen, ist ein ordentlicher Ruck.«
Die dünne Schnur liegt straff über Nannas Fingern. Sie muss daran denken, dass sie das früher schon mal gemacht hat, aber sie kann sich nur noch daran erinnern, dass sie in einem Boot saß und der Plastiksitz unter den Schenkeln brannte. Vielleicht auch noch daran, dass das Boot ein Stück vom Ufer entfernt lag und sie hinterher grillten. Und daran dass es langweilig war, bis der Ruck kam. Sie denkt an den Haken unten im Wasser und dass bald ein Fisch kommen soll. Am Himmel sammeln sich Wolken und der Wind frischt auf. Aber da. Da war etwas, denkt sie. Ein vorsichtiger Ruck, der gleich wieder verschwunden ist.
»Ich glaube, da ist einer!«, sagt Nanna.
Papa nimmt ihr die Angel ab und fühlt.
»Nein. Da ist nichts. Nur die Meeresströmung.«
Winzig kleine Tropfen füllen die Luft. Beinahe unsichtbarer Regen, der alles nass macht. Sie angeln, bis die Wellen über die Reling schwappen und schwere Regentropfen ins Boot prasseln. Die Wolken sinken tief nach unten und Nebel verdeckt ihre Sicht. Papa lächelt vorsichtig und löst seinen Blick vom Ufer.
»Jetzt haben wir richtiges Angelwetter«, sagt er.
»Mir ist kalt«, sagt Fride und lässt die Angelschnur schlaff über die Reling hängen.
»Mir auch«, sagt Nanna.
»Wir müssen es weiter versuchen«, sagt Papa. »Vor der Schäre dort drüben haben wir immer geangelt, als ich klein war. Und jetzt regnet es ja auch.«
Mit kräftigen Schlägen rudert er sie zu der kleinen Insel. Nannas Angelschnur zittert kräftiger. Sie versucht, sich vorzustellen, wie ein Fisch anbeißt, aber es bleibt bei demselbenmonotonen Zittern. Als würde das Meer auf etwas warten, um den Stillstand zu beenden, darauf, sich wieder mit Leben zu füllen, aber außer Wind, Wellen und Regen ist nichts zu hören.
Sie angeln noch eine Weile, vor allem um sich gegenseitig zu zeigen, dass sie nicht aufgeben. Aber dann reicht es. Fride hat sich im Bug zusammengekauert und die Knie unters Kinn gezogen. Nanna holt ihre Angelschnur ein und setzt sich zu ihr. Wellen schlagen gegen die Seitenwände. Papa sammelt die Schnüre ein und fängt wieder an zu rudern. Das Boot ist ein ganzes Stück abgetrieben und kämpft auf dem Heimweg gegen den Seegang. Fride und Nanna ducken sich, um sich vor dem spritzenden Meerwasser zu schützen. Papa rudert lange, während Wellen und Wind weiter zunehmen. Die Ruder werden immer schwerer, ab und zu rutschen sie ab und Papa verliert das Gleichgewicht. Seine Schläge werden langsamer und sein Kopf sinkt nach vorne. Wellen schlagen über die Reling. Sie umrunden die kleine Schäre vor der Bucht. Dahinter liegt der Steg mit dem Bootsschuppen. Papa lässt das Boot treiben und stützt sich auf die Ruder. Aber der Wind treibt sie auf die Küste zu und das Meer um sie herum schäumt. Papa sitzt noch immer mit hängendem Kopf über die Ruder gebeugt. Das Boot schaukelt auf dem aufgewühlten Meer.
»Ist alles okay?«, fragt Nanna.
Papa zuckt zusammen, macht ein paar kräftige Schläge mit den Rudern und bringt sie in den Windschatten. Sacht gleitet das Boot an den Steg. Papa nimmt das Tau, steigt über Fride und springt an Land. Der Regen ist noch stärker geworden und Nebel hängt tief über den Felsen. Er zieht sie beide auf den Steg und gemeinsam folgen sie dem Pfad zum Haus. Ihre Kleider sind nass und ihre Finger ganz aufgeweicht. Nanna schließtdie Augen und versucht, nicht daran zu denken, wie sehr sie friert. Frides kleine Hand ist ganz steif und kalt. Der Pfad ist glitschig vom Laub und sie muss aufpassen, dass sie nicht ausrutscht. Am Ende des Gartens unter den Apfelbäumen hat sich ein kleiner See gebildet. Sie gehen direkt durch die Terrassentür ins Haus. Papa bleibt mitten im Wohnzimmer stehen und zieht seine Sachen aus.
»Mädchen, seht zu, dass ihr die nassen Sachen loswerdet«, sagt er zähneklappernd.
Dann geht er zum Kamin, nimmt ein paar Scheite aus dem Holzkorb und macht Feuer.
»Aber Papa? Was ist mit
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