Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
werden. Dann fällt die Tür hinter ihnen zu und alles wird schwarz.
16
»Hier seid ihr in Sicherheit«, hören sie eine Männerstimme.
Dann geht ein Licht an und der Raum, in dem sie stehen, wird langsam heller. Vor ihnen steht ein alter Mann mit einem Gewehr in der Hand. Er hat einen langen, weißen Bart, seine Kleider sind grün und er trägt schwarze Stiefel.
»Ich bin froh, dass ich den Köter erwischt habe. Er hat uns jetzt schon lange genug geplagt.«
»Tausend Dank, dass du uns gerettet hast«, sagt Nanna.
Fride versteckt sich hinter ihr.
»Ach, halb so wild. Der Köter war sowieso fällig«, sagt der Mann und öffnet eine Tür hinter sich. »Jetzt kommt, habt keine Angst. Hier kann euch nichts passieren. Und ihr seid doch bestimmt auch hungrig. Mal sehen, was Mutter auf dem Herd hat.«
Nanna lächelt Fride zaghaft an und sie folgen dem Mann durch die Tür. Der Hinterhof steht voller Autowracks, Traktoren und Metallschrott. Es ist fast ganz dunkel und schwierig, den Himmel zu sehen. Der Mann führt sie durch ein Labyrinth aus Schrottautos, bis sie plötzlich vor einem kleinen, weißen Holzhaus stehen. Die Fenster sind schwach beleuchtet und die Tür steht einen Spaltbreit offen.
»So, hier wohnen wir«, sagt der Mann und geht hinein.
Im Haus duftet es nach Essen und aus der Küche dringt Topfgeklapper.
»Mutter, wir haben Gäste!«, ruft er.
Sie hören ein Krachen und das Klirren, als ein Glas zerbricht, und aus einer Tür kommt eine alte Frau mit geblümter Schürze.
»Ach du lieber Himmel!«, ruft sie und nimmt die Mädchen in den Arm.
Sie duftet genau wie das Haus. Nach Essen und Seife.
»Wo um alles in der Welt kommt ihr denn her?«
»Du kennst doch den Köter, der sich hier in letzter Zeit rumgetrieben hat. Der hat versucht, sich die beiden zu schnappen.«
»Jetzt sei du mal still. Lass die Mädchen erzählen.«
Der Mann grunzt und geht aus dem Zimmer.
»Kommt rein, ihr beiden«, sagt die Frau.
In der Küche ist es warm und auf dem Herd steht ein großer Topf. Auf einem alten gusseisernen Ofen in der Ecke brennt eine Kerze.
»Ihr müsst keine Angst haben. Hier seid ihr sicher«, sagt die Frau und macht eine Pause. »Wollt ihr mir nicht sagen, wie ihr heißt?«
Nanna und Fride schauen sich unsicher an. Dann sagt Fride entschlossen: »Ich heiße Fride und wie heißt du?«
»Ich heiße Alma«, sagt die Frau und lächelt. »Und der da draußen heißt Trym. Was ist mit dir?«, fragt sie und schaut Nanna an.
»Ich heiße Nanna. Wohnt ihr hier?«
»Ja, wir wohnen hier. Setzt euch an den Tisch, dann könnt ihr etwas trinken.«
Alma stellt ihnen zwei Gläser mit rotem Saft hin und sie trinken gierig. Ein süßer Geschmack breitet sich in ihrem Mund aus. Nanna schließt die Augen und atmet tief den Duft ein.
»Oh, ist das gut«, sagt Fride und lacht.
Alma lächelt sie warm an.
»Jetzt erzählt mal, wo ihr herkommt.«
Nanna zögert ein wenig, dann fängt sie vorsichtig an.
»Wir kommen vom Meer. Oder besser gesagt, von einem Ort am Meer.«
»Seid ihr alleine?«
»Ja.«
»Aber ihr seid nicht immer alleine gewesen?«
»Wir haben mit unserem Vater zusammengelebt. Wir hatten uns seit der Katastrophe versteckt.«
»Ja, etwas anderes blieb einem ja nicht übrig«, sagt Alma. »Wo habt ihr euch denn versteckt?«
»Wir waren in einem Bunker unter dem Haus unseres Großvaters.«
»Die ganze Zeit? Seit der Katastrophe sind doch schon Jahre vergangen«, sagt Alma und schüttelt den Kopf.
»Ja. Papa sagte, draußen wäre es nicht sicher. Wir durften nicht raus.«
»Nein. Wahrscheinlich hatte er recht. Schließlich sitzt ihr jetzt hier und es gibt nicht eben viele, die das noch können. Aber so viele Jahre in einem Bunker …«
»Wir hatten Spiele. Und meinen Schmetterling Plim«, sagt Fride.
»Einen Schmetterling?«, fragt Alma.
»Ja«, fährt Fride fort. »Er ist gelb und wohnt auf einer roten Blume.«
Alma schaut Nanna an.
»Plim ist Frides Fantasie-Schmetterling«, erklärt Nanna verlegen. »Sie hat nie einen echten gesehen.«
»Nein, es ist lange her, dass man so etwas sehen konnte«, sagt Alma und geht in das Zimmer nebenan. Kurz darauf hören die Mädchen das Plätschern von fließendem Wasser. Alma lächelt, als sie in die Küche zurückkommt.
»Ich lasse die Badewanne einlaufen. Das wird euch guttun«, sagt sie und setzt sich zu ihnen.
»Aber sagt mir, wo ist euer Vater jetzt?«, fragt sie vorsichtig.
»Er ist im Bunker. Oder oben in unserem Haus. Er ist krank
Weitere Kostenlose Bücher