Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
im Morgenlicht, der ganze Hof ist von Wellblech umgeben. Dahinter ragen hohe, schwarze Bäume in den blauen Himmel.
»Es ist so hell hier«, sagt Fride. »Wo sind wir?«
»Weißt du das nicht mehr?«, sagt Nanna. »Wir sind vor dem Hund weglaufen und zwei alte Leute haben uns gerettet.«
»Ach ja. Oh, das Essen gestern war so gut. Glaubst du, wir können hierbleiben?«
»Nein. Wir müssen weiter.«
»Aber können wir nicht wenigstens noch ein bisschen bleiben?«
»Nein. Zieh dich jetzt an.«
Ihre Kleider liegen frisch gewaschen auf einem Stuhl neben den Betten. Es ist so schön, saubere, trockene Sachen anzuziehen. Als sie in die Küche kommen, hat Alma schon Frühstück gerichtet und Trym kommt gerade von draußen rein. Nanna und Fride setzen sich wieder auf die Bank an der Wand.
»Habt ihr gut geschlafen?«, fragt Alma und stellt jedem eine Portion Frühstücksflocken auf den Tisch.
»Ja, sehr gut«, antwortet Nanna und schaut verwundert auf die Milch.
»Schau mal«, sagt Fride und zeigt auf ihre Schale. »Die schwimmen ja.«
»Woher habt ihr das alles?«, fragt Nanna. »Das ist ja Milch.«
Alma und Trym setzen sich an den Tisch.
»Na, die Milch kommt aus der Dose. Es ist wohl ein bisschen wie bei euch. Wir haben uns versteckt, als die Katastrophe begann. Seitdem haben wir uns hier aufgehalten«, sagt Alma. »Als wir von der Krankheit hörten, hat Trym sofort den Zaun gebaut. Mit Strom versorgt uns die Sonne und Diesel haben wir von der Tankstelle vorne an der Straße. Zusätzlich hat Trym ein kleines Kraftwerk am Bach gebaut. Falls ihr wisst, was das ist?«
Nanna und Fride nicken, während sie kauen.
»Die Kühltruhen waren voll und zusätzlich haben wir Konserven eingekauft, bevor alles noch schlimmer wurde. Das Schwierigste war, sich in den ersten Jahren versteckt zu halten. Das war keine gute Zeit.«
»Nein, da war keine gute Zeit«, sagt Trym und schüttelt den Kopf.
»Wie war das damals eigentlich?«, fragt Nanna.
Trym sieht zu Alma, bevor er fortfährt.
»Alle wurden krank und es gab viele Menschen, die hässliche Dinge taten. Viele flüchteten aus der Stadt, aber sie hatten kein Essen und mussten zurückkehren. Wir haben es im Fernsehen gesehen. Die Leute hatten Angst und waren verzweifelt. In anderen Ländern war es genauso. Aber eines Tages hörte dasFernsehen auf zu senden und auch das Radio blieb still. Nach und nach verstummte alles.«
»Was bedeuten die gelben Kreise? Wir dachten, sie würden Gefahr bedeuten, aber hier ist ja alles sicher.«
»Doch, sie bedeuten wirklich Gefahr. Es wurde ein Gesetz erlassen, dass alle Orte, an denen jemand erkrankt war, mit einem gelben Kreis gekennzeichnet werden mussten. Das haben wir sofort gemacht.«
»Aber warum denn?«
»Das war die beste Methode, von niemandem gestört zu werden.«
»Ach so. Und warum seid ihr nicht krank geworden?«
»Wir haben uns von allem ferngehalten. Ganz und gar. So wie ihr«, sagt Alma. »Außerdem haben wir Medizin bekommen. Ganz zu Anfang.«
»Habt ihr noch Medizin übrig?«, fragt Fride.
»Nein. Wir hatten Glück und sind ein einziges Mal damit versorgt worden. Aber nach einer Weile bekamen nur noch Ärzte und solche Leute die Medikamente. Und schließlich gab es wohl gar keine mehr.«
Fride lässt enttäuscht den Kopf hängen und legt ihren Löffel hin.
»Unsere Mama ist Ärztin. Sie hat im Krankenhaus in der Stadt gearbeitet«, sagt Nanna.
»War sie auch mit euch im Bunker?«, fragt Alma.
»Nein. Sie musste im Krankenhaus bleiben.«
»Wisst ihr, wo sie jetzt ist?«
Nanna schüttelt den Kopf.
»Sie ist in der Stadt«, sagt Fride.
»Nein. Ist sie nicht. Wir wissen nicht, wo sie ist. Sie konntenicht mitkommen, als wir geflüchtet sind«, sagt Nanna leise. »Sind dort noch Menschen?«
»Ich glaube nicht, leider«, sagt Alma, steht auf und geht zum Küchenschrank.
»Das hat der Mann an der Brücke auch gesagt.«
»Ihr seid jemandem begegnet?«, fragt Trym und springt fast auf. »Ihr seid noch anderen Menschen begegnet?«
»Ja. Die große Brücke ist eingestürzt. In einem der Häuser am Anleger wohnt ein Mann. Er ist krank.«
»An der großen Brücke?«, fragt Trym.
Nanna nickt.
»War er alleine?«
»Ja, außer ihm haben wir niemanden gesehen. Er hat auch gesagt, er wäre alleine.«
»Hat er euch etwas getan?«
»Nein«, sagt Nanna. »Er hat uns über den Fjord gebracht, aber er wirkte sehr traurig.«
»So, so«, sagt Trym. »Was hat er noch gesagt? Hat er von anderen Menschen
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