Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
Boden springt und mit dem ganzen Kopf im Rucksack verschwindet. Er wühlt darin herum und schleudert ihn durch die Luft, dass fast ihre gesamten Vorräte im Gras landen. Der Hund schnappt sich eine weitere Konserve, kaut und beißt darauf herum. Dann lässt er sie los und versucht es mit einer neuen. Das macht er mit allen Dosen, bevor er wieder auf den Tisch springt und die Reste ableckt.
Das Wasser ist eiskalt und Nanna schafft es kaum mehr, still zu stehen. Fride hat die Augen zugemacht und zittert am ganzen Körper. Nanna streckt unter Wasser die Hand nach ihr aus und hält ihren Arm. Er ist ganz kalt und angespannt. Fride öffnet die Augen und sie schauen sich an. Ihr Blick wirkt verbissen, so als hätte sie nicht die Absicht, sich zu ergeben.
An Land hat der Hund den Kopf gehoben und steht reglos auf dem Tisch. So verharrt er eine ganze Weile, dann springt er nach unten und fängt wieder an, den Boden abzusuchen. Für einen kurzen Moment glaubt Nanna, dass er ihre Fährte aufgenommen hat. Er hält inne und schaut direkt in ihre Richtung, aber dann läuft er weiter, am Ufer entlang und verschwindet schließlich im Wald.
Sie bleiben im Wasser, bis alles, was Nanna hört, Frides Atem ist.
Ohne ein Wort zu sagen, führt Nanna ihre Schwester an Land. Sie gehen vorsichtig und lassen den Wald nicht aus den Augen. Die Sonne ist hinter den Bäumen verschwunden, die ihre Schatten auf den Sandstrand werfen. Ihre Kleider liegen noch unberührt da. Mit steifen Fingern zieht Nanna sich an. Sie hält den Blick fest auf den Waldrand gerichtet. Nanna will gerade zum Fahrrad gehen, als sie sieht, dass Fride immer noch unten am Wasser steht. Ihr dünner, blasser Körper zittert undsie hat den Mund fest zusammengepresst. Sie gibt keinen Laut von sich, aber aus ihren Augen kullern Tränen. Nanna geht neben ihr in die Hocke und drückt Fride fest an sich.
»Es ist vorbei«, sagt sie und hilft ihr beim Anziehen.
Fride zittert mit großen, zuckenden Bewegungen und schluchzt.
Nanna bringt sie zum Anhänger und breitet den Schlafsack aus.
»Kuschel dich hier rein«, sagt sie und hält das Verdeck des Anhängers auf.
Fride kriecht fröstelnd in den Schlafsack und Nanna macht ihn zu. Ihre Essensvorräte liegen um den Tisch herum verteilt, aber sie traut sich nicht, die Dosen aufzuheben, auch wenn sie jetzt nicht mehr viele übrig haben. Eilig packt sie den Rest ihrer Sachen zusammen.
Sie tritt in die Pedale, aber ihre Beine sind schwer und es dauert, bis sie Fahrt aufnehmen. Die Straße hinter ihnen ist leer und Fride liegt sicher im Anhänger.
Nach diesem Erlebnis müssen sie vorsichtiger sein. Nanna späht in den Wald am Straßenrand. Die Bäume werfen lange Schatten und es wird langsam dämmrig. Irgendwo dort ist noch immer der Hund. Sie fährt so schnell sie kann, aber nach einer Weile tauchen immer mehr Wrackteile und verlassene Autos auf, denen sie ausweichen muss. Ihr fällt auf, dass die Schilder der Nebenstraßen mit gelben Kreisen markiert sind.
Sie fahren weiter und es wird immer dunkler. Wenn sie doch nur ein Haus oder einen Hof finden würden, der nicht gekennzeichnet ist.
Nach einiger Zeit erreichen sie eine Tankstelle. Die Fensterscheiben sind noch ganz und auch die Zapfsäulen sehen unbeschädigt aus. Darüber ist eine kleine Wohnung mit Balkon. Vielleicht können sie dort heute Nacht schlafen? Da wären sie vor dem Hund geschützt.
Direkt neben der Tankstelle versperrt ein umgekipptes Auto einen Seitenweg. Das ganze Wrack ist mit gelben Kreisen besprüht und auch auf den Bäumen daneben sind gelbe Kreise. Zweige hängen tief auf den dunklen Seitenweg hinunter. Der Asphalt ist mit Blättern bedeckt und es sieht so aus, als wäre hier seit Jahren niemand mehr langgekommen. Nanna fährt zwischen die Zapfsäulen und wirft einen Blick in den dunklen Tankstellenshop. Ob es hier etwas zu essen gibt? Sie dreht sich zu Fride um.
»Fride. Du musst aufwachen«, flüstert sie.
Fride rührt sich nicht.
»Fride. Los. Wach auf. Ich habe einen Schlafplatz für uns gefunden.«
Sie liegt so still. So tief kann man nicht schlafen, denkt Nanna.
»Du musst jetzt aufwachen«, sagt sie streng und steigt vom Rad.
Bevor sie ganz abgestiegen ist, taucht Frides verschlafenes Gesicht aus dem Schlafsack auf.
»Wo sind wir?«, fragt sie.
»An einer Tankstelle. Mit einer Wohnung obendrüber. Ich glaube, hier sind wir sicher.«
»Wo ist der große Hund?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit wir vom
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