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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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im Anhänger auf.
    Tief unter ihnen sehen sie den Fluss und die Stadt mit ihren geraden Straßen. Zwei Brücken führen über den Fluss und mitten in der Stadt ist ein großer Park mit langen Alleereihen toter Bäume und großen, braunen Rasenflächen. Die Autos in den Straßen stehen still und der Hafen ist leer, abgesehen von ein paar wenigen Schiffen, die halb unter Wasser am Kai liegen. Das große Riesenrad auf dem Rummelplatz unten am Fluss rührt sich nicht.
    Nanna schaut zu dem Park. Alles erscheint ihr plötzlich so deutlich, jetzt, wo sie es wiedersieht. Sie erinnert sich daran, dass sie sonntags oft im Park waren. Sie schauten sich die Statuen an und hörten den Straßenmusikanten zu. Kauften Eis und Apfelkuchen.
    »Oh, ist die groß. Hier muss es Medizin geben. Ich weiß es«, sagt Fride.
    »Ja, das muss es.«
    »Ist das ein Rummelplatz?«, fragt Fride und zeigt zum Riesenrad.
    »Ja. Ich war dort.«
    »Können wir hingehen?«
    »Nein. Nicht jetzt. Wir müssen erst in die Wohnung. Wennwir an der nächsten Brücke sind, müssen wir nur noch immer geradeaus zum Park fahren.«
    Nanna schaut nach unten. Auf beiden Seiten der Brücken sind große Straßensperren errichtet. Lastwagen und Zäune.
    Ein warmer Wind weht vom Meer herüber und die Sonne steht groß und dunkelgelb am Himmel. Nanna lässt die Bremsen los und sie rollen bergab. Als sie die Häuser am Straßenrand sieht, kommt es ihr vor, als wäre die Zeit stehen geblieben. Als wären alle Menschen auf einen Schlag verschwunden und hätten alles so zurückgelassen, wie es war. Auf den Wäscheleinen hängen zerlumpte und von der Sonne ausgeblichene Kleider und auf einem großen Spielplatz liegen überall verstreut Spielsachen herum. Es scheint fast so, als könnte die Stadt jeden Moment wieder zum Leben erwachen. Es fehlt nicht mehr als eine kleine Bewegung, dann ist die ganze Stadt wieder wie vorher. Jederzeit könnten die Autos losfahren und Menschen aus den Häusern treten.
    Nanna schaudert. Die Stille ist unheimlich. So viel Leben, das hier sein sollte, ist verschwunden. Im Wald, wo es nur sie und Fride gab, war es angenehmer. Hier sind sie so viel kleiner und hier sollten so viele andere sein.
    An der Brücke bleiben sie stehen. Ein Lastwagen mit einem großen gelben Kreis versperrt die Fahrbahn. Davor stehen grüne Militärfahrzeuge und Absperrgitter. An einer Seite gibt es einen schmalen Durchgang. Fride klettert aus dem Anhänger und geht zu einem Schaufenster, in dem Musikinstrumente ausgestellt sind.
    »Hier ist es komisch«, sagt Fride. »Wie in einem Traum. Alles ist da, aber wir sind die Einzigen, die rumlaufen und sich das anschauen können.«
    Nanna geht zu ihr.
    »Ja. Hier ist es wirklich sehr komisch. Es ist ganz anders, als ich es in Erinnerung habe. Ich erinnere mich an Gerüche und jede Menge Menschen und Lärm. Stattdessen ist es still und riecht nach Meer und Wald. Das passt irgendwie nicht.«
    »So schöne Instrumente«, sagt Fride.
    »Ja. Aber du kannst dich auf das Klavier in der Wohnung freuen. Mama hat immer darauf gespielt.«
    »Ist das wahr?«
    »Ja.«
    »Was glaubst du, wo die ganzen Menschen sind?«
    »Sie müssen weggegangen sein, so wie wir. Oder sie sind …«
    Nanna will das Wort nicht sagen. Nicht hier in der Stadt, wo eigentlich Leben sein sollte. Sie betrachtet das Schaufenster. Die Instrumente sind so hübsch dekoriert. Das Fenster ist dreckig und das Sonnenlicht wirft ein Muster aus kleinen Schatten auf die Instrumente. Drinnen sieht alles aus wie früher.
    Die Häuser sind dunkel, die Fenster und Türen verschlossen. Der Fluss fließt ruhig unter der Brücke. Sonst ist alles still.
    »Jetzt gehen wir«, sagt Nanna und nimmt Fride an der Hand.
    Sie sind fast am Fahrrad, als Fride stehen bleibt und sagt: »Aber da ist ja der Vogel! Dann habe ich doch nicht geträumt. Schau mal, Nanna!«
    Nanna dreht sich langsam um. Auf dem Schornstein eines Hauses steht ein Schatten. Eine schwarze Silhouette gegen die Abendsonne. Der Schatten breitet zwei schwarze Flügel aus und heult ein seltsames Heulen. Dann dreht er sich ein wenig und das Licht verändert sich.
    Es ist kein Vogel. Es ist ein Junge. Ein Junge mit zerfetztenLumpen, die an seinen Armen herunterhängen. Er steht ganz still, die Hände in die Seiten gestützt und starrt sie an. Dann heult er wieder und verschwindet auf der Rückseite des Dachs.
    »War das ein Junge?«, fragt Fride.
    »Ja«, sagt Nanna.
    Jetzt taucht der Junge hinter dem Haus auf und rennt auf sie

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