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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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wird der Untergrund härter.
    »Ich glaube, wir sind in der Stadt«, flüstert Nanna und versucht vorsichtig, unter dem Tuch herauszulugen.
    Der Anhänger macht eine scharfe Kurve, bleibt stehen und dann hört Nanna, wie Vogel wegläuft. Sie zieht sich das Tuch vom Kopf und kneift in dem grellen Licht die Augen zusammen. Sie stehen auf einem kleinen Platz mit einem runden Brunnen. Nanna steigt aus dem Anhänger und schaut sich um.
    »Wo ist Vogel?«, fragt Fride.
    »Er ist weg.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass er verschwinden würde«, sagt Fride und klettert aus dem Anhänger.
    »Ich auch nicht«, sagt Nanna.
    »Wo sind wir?«, fragt Fride und turnt auf den Rand des Brunnens.
    In der Mitte steht die Skulptur eines kleinen Jungen, der auf einem Fisch reitet. Der Boden ist von einer dünnen, grauen Schicht überzogen.
    »Ich bin mir nicht sicher, aber diese Figur kommt mir bekannt vor«, sagt Nanna und steigt ebenfalls auf den Brunnenrand. Fride fängt an, im Kreis zu laufen. Der Junge hält einen Speer in der Hand und grün-weiße Streifen ziehen sich über sein Gesicht.
    »Ich war hier schon mal. Zusammen mit Mama und Papa.Papa mochte die Figur so gerne. Er sagte, der Junge würde Sterne fischen. Das fand ich immer sehr seltsam.«
    »Was habt ihr gemacht?«, fragt Fride. »Versuch, dich zu erinnern, vielleicht fällt dir noch mehr ein.«
    »Ich versuche es ja, Fride. Das Einzige, was in meinem Kopf auftaucht ist ein Pferd. Ein Pferd aus Eisen.«
    Sie glaubt fast, das kalte Metall an den Beinen zu spüren. Und dann taucht ein Bild von Luftballons auf und der Klang von Musik.
    »Ich glaube, wir sind in der Nähe des Parks. Dann kann die Wohnung auch nicht weit sein.«
    Sie fahren eine schmale Straße hinunter, die mit Steinplatten gepflastert ist. Auf beiden Seiten gibt es Geschäfte und Cafés. Nanna schaudert, als sie den Eingang zu einem U-Bahn-Schacht sieht und macht einen großen Bogen um die Öffnung. Es ist grässlich, darüber nachzudenken, dass unter ihnen Schatten sein könnten, die vielleicht sogar beobachten, was sie tun. Kurz darauf macht die Straße eine Kurve und führt an einer niedrigen Mauer entlang. In einiger Entfernung können sie eine Kirche sehen.
    »Da!«, sagt Nanna und zeigt auf das Pferd, das in der Kurve steht. »Ich wusste, dass es hier ist.«
    Sie macht direkt davor Halt und legt eine Hand auf das blankpolierte Pferdemaul. Es ist dasselbe Gefühl wie früher. Sie bekommt Lust, hochzuklettern, so wie sie es immer gemacht hat, wenn sie daran vorbeigekommen sind.
    »Ich habe mich immer obendrauf gesetzt«, sagt Nanna.
    »Darf ich auch mal?«
    »Ja«, sagt Nanna und hilft Fride hoch.
    »Das ist ja ganz kalt«, sagt Fride.
    »Ja. Was dachtest du denn? Es ist doch aus Eisen.«
    »Das wusste ich nicht. Aber es sieht genauso aus wie ein echtes Pferd, nicht wahr?«
    »Ja. Ganz genauso. Aber jetzt müssen wir weiter. Ich glaube, der große Park ist ganz in der Nähe«, sagt Nanna und hilft Fride beim Absteigen.
    Sie folgen der Mauer entlang dem Friedhof. Überall sind neue Gräber. Graue Sandhaufen ohne Kreuze oder Grabsteine. Nichts als Tausende von Sandhaufen. Sogar die Wege sind aufgegraben.
    »Bleib unten«, sagt Nanna und zwingt die Tränen zurück.
    »Was ist denn da?«, fragt Fride ängstlich.
    »Nichts Gefährliches. Nur etwas, das du nicht sehen sollst.«
    Nanna folgt einer Eingebung und biegt durch ein schmiedeeisernes Tor auf den Friedhof ab. Auch zwischen den alten Gräbern ist Erde aufgehäuft.
    »Liegen hier überall Tote?«, fragt Fride unten aus dem Anhänger.
    »Ja«, sagt Nanna. »Aber sie sind unter der Erde.«
    Sie hält vor der weißen Kirche an. Der Turm ragt hoch zwischen den Bäumen auf. Sie schaut sich um. Ein Grab reiht sich ans andere. Es scheint kein Ende zu nehmen.
    »Ist das eine Kirche?«, fragt Fride.
    »Ja«, sagt Nanna.
    »Ich möchte reingehen.«
    »Da drinnen ist nichts. Wir müssen weiter.«
    »Ich möchte reingehen. Du sollst nicht immer bestimmen. Papa hat erzählt, dass ihr in einer Kirche wart. An Weihnachten und so«, sagt Fride und klettert aus dem Anhänger.
    Sie hält die Taschenlampe in der Hand und geht auf die Kirche zu.
    »O.k.«, sagt Nanna. »Aber wir müssen vorsichtig sein.«
    Im Inneren der Kirche ist es schummerig und es riecht schwach nach altem Gemäuer und dem Stearin der dicken, weißen Kerzen. Sonnenlicht fällt durch die bunten Glasfenster und färbt die Bänke blau, rot und gelb.
    »Hier ist es aber still«, sagt Fride.
    »Ja«, sagt

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