Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)
und schaut nach hinten. Außer seinem Atem und dem Wind in den Bäumen ist nichts zu hören. Dann fährt er weiter. Es ist stockdunkel geworden und Tropfen trommeln leise auf das Verdeck. Es werden immer mehr. Schließlich prasselt der Regen auf sie herunter und Wasser rinnt in den Anhänger. Allmählich führt der Weg bergauf und das Rauschen eines Wasserfalls wird lauter. Eine kleine Brücke führt über den Wasserfall. Dahinter biegt Vogel in den Wald ab und Nanna duckt sich, als lange Zweige gegen den Anhänger peitschen. Mitten im Gestrüpp hält Vogel an. Er bleibt über den Lenker gebückt sitzen.
Nanna steigt aus. Regen und Wind rütteln an den Bäumen, aber der Waldboden ist trocken. Die Zweige des Gebüschs sind so miteinander verwoben, dass sie ein Dach bilden. Sie geht zu Vogel und legt eine Hand auf seinen Rücken. Sein Kapuzenpulli ist durchnässt und warm.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt Nanna.
Vogel nimmt ihre kalte Hand und hält sie fest. Er dreht den Kopf und schaut sie an, dann beugt er sich wieder nach vorne.
Er sieht aus, als würde er sich freuen, denkt Nanna verblüfft.
»Wo sind wir?«
»Zu Hause«, hustet Vogel.
Er bleibt noch eine ganze Weile auf dem Fahrrad sitzen, bevor er absteigt. Auch Fride krabbelt jetzt aus dem Anhänger und stellt sich dicht neben Nanna.
»Wohnst du hier?«, fragt Fride.
»Nein, nicht hier, aber da oben. Das ist der einzig sichere Ort«, sagt Vogel und zeigt auf einen gewaltigen Baum.
Mit raschen Schritten geht er zu dem Stamm und ist zwischen den Zweigen verschwunden, bevor Fride und Nanna sehen können, wo er Halt findet. Die feuchte Nachtluft ist kühl.
Nanna merkt, wie sehr Fride zittert. Sie will gerade nach Vogel rufen, als eine Strickleiter zwischen den Zweigen herunterfällt. Vogel streckt den Kopf hinter einem Ast vor und lächelt vorsichtig.
»Kommt, jetzt könnt ihr rauf.«
Genauso schnell, wie er den Baum hochgeklettert ist, kommt er nach unten, ohne die Strickleiter zu benutzen. Er holt den Rucksack aus dem Anhänger und macht ihnen ein Zeichen, dass sie sich beeilen sollen.
Fride klettert zuerst hoch und Nanna folgt ihr. Schließlich kommt Vogel. Er zieht die Leiter hinter sich hoch.
Oben im Baum bleiben Fride und Nanna sprachlos stehen und schauen sich um. Zwischen den Ästen ist eine Plattform aus dicken Brettern gebaut und direkt am Baumstamm steht eine kleine, schiefe Holzhütte mit schrägem Dach, aus dem ein krummer Schornstein ragt. Neben der Tür ist ein kleines, rundes Fenster. Zwei Lampen hängen in den Zweigen. Eine grüne und eine rote.
Nanna starrt sie an und dann versteht sie.
Das Blinken . Das Licht kam von Vogel.
»Hier kann uns niemand finden«, sagt der Junge und öffnet die Tür.
Nanna und Fride treten in die kleine Hütte. Es duftet nach Holz und irgendetwas riecht wie der Diesel, den sie zu Hause für ihren Generator benutzt haben. Vogel zieht die Tür hinter sich zu und zündet mit einem Streichholz eine Laterne an, die auf dem Tisch unter dem Fenster steht.
»Was ist mit dem Licht?«, fragt Nanna.
»Die Äste sind dick und auch wenn der Baum krank ist, ist der Wald trotzdem dicht genug«, sagt Vogel. »Hier kann uns niemand sehen.«
»Mir ist so kalt«, sagt Fride.
»Ihr könnt euch da drüben umziehen«, sagt Vogel und zeigt auf ein Stockbett, das in der Ecke steht.
»Und ich bin hungrig«, sagt Fride.
Vogel geht zu einem kleinen Holzofen. Während Fride und Nanna sich umziehen, entfacht er ein Feuer und stellt eine Kanne auf den Ofen. Dann holt er ein paar Konservendosen aus dem Küchenschrank und öffnet sie. Er nimmt sie mit an das flackernde Ofenfeuer und setzt sich in einen zerschlissenen Sessel. Nanna und Fride lassen die Dosen nicht aus den Augen.
Neben dem Stockbett, einem Esstisch und dem Sessel gibt es noch ein kleines Sofa neben dem Ofen, ein Regal, das bis obenhin mit alten Büchern und Comics vollgestopft ist, und die kleine Küchenecke. An der Wand hängt ein Gewehr. Nanna und Fride setzen sich auf das Sofa. Wohlige Wärme strahlt ihnen entgegen.
»Bedient euch«, sagt Vogel.
Gierig essen Nanna und Fride direkt aus den Dosen. Möhren, Schinken und kleine Würstchen.
»Oh, schmeckt das gut«, sagt Fride. »Ich habe noch nie so gute Sachen gegessen. Die kleinen Schlangen sind so lecker.«
»Das sind Würstchen«, sagt Nanna und schaut sie an. »Früher gab es die oft.«
Vogel hört ihnen zu, ohne etwas zu sagen.
»Woher hast du die ganzen Sachen? Wir haben nirgends mehr etwas Essbares
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