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Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition)

Titel: Der Junge, der sich Vogel nannte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Henrik Nielsen
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weiter.
    »Ich weiß noch, dass die Straßenbahn direkt an unserer Wohnung vorbeifuhr«, sagt sie.
    Fride sitzt aufrecht im Anhänger und schaut sich um. Als sie über einen kleinen Hügel fahren, kann Nanna bis zum Fluss sehen.
    »Auf der Brücke ist nichts, Fride«, sagt sie. »Vogel hat sich geirrt. Die Schatten haben sie doch nicht gesperrt.«
    Nanna biegt in eine Straße mit schmalen Häusern ab. Am Ende der Straße steht ein verrosteter Stromkasten. Als sie ihn sieht, hat Nanna sofort den Geschmack der nassen Kapuzenkordel ihrer Regenjacke im Mund, und sie denkt daran, wie oft sie sich dahinter versteckt hat.
    »Schau mal da, Fride, hinter dem Kasten haben wir uns beim Spielen immer versteckt.«
    »Habt ihr Verstecken gespielt?«, fragt Fride.
    »Und auf der Bank haben wir immer Stille Post gespielt.«
    »Was ist das?«
    »Ein Spiel. Ich erinnere mich plötzlich an so vieles«, ruft sie ihrer Schwester zu.
    »Oh ja. Ich glaube, ich kenne mich auch fast wieder aus«, sagt Fride und lacht.
    Die Straße teilt sich und führt links und rechts an einem kleinen Park vorbei, in dem niedrige Bäume und Büsche stehen. Durch das Gestrüpp erspäht Nanna bunte Spielgeräte und ein kleines Stück eines schrägen Dachs.
    Sie bleibt mit dem Fahrrad vor einem kleinen Tor stehen und betrachtet das grüne Schiff im Sand.

28
    »Fride! Wir sind da. Das hier war mein Kindergarten«, sagt Nanna und lächelt. »Ist der nicht schön?«
    »Oh ja«, sagt Fride und springt aus dem Anhänger.
    Sie rennt zu dem rotgefleckten Eisentor und klettert das Drahtnetz hoch.
    »Hier draußen durften wir nicht sein«, sagt Nanna.
    »Durftet ihr nicht?«, fragt Fride. »Warum nicht?«
    »Es war einfach so. Wir mussten hinter dem Zaun bleiben. Komm, ich zeige es dir.«
    Nanna schiebt das Tor auf. Die Scharniere quietschen.
    »Da ist es ja«, sagt Fride und rennt aufgeregt zu dem grünen Schiff. »Genau, wie du es beschrieben hast! Waren hier viele Kinder?«
    »Ja. Jede Menge. Es war total voll. Ich habe so gerne mit dem Boot gespielt. Schau mal. Man kann sich reinstellen und es steuern.«
    Nanna begleitet Fride ins Steuerhaus. Der Boden ist mit Sand bedeckt, den der Wind hineingeweht hat. Fride dreht das Steuerrad.
    »Das ist ein bisschen komisch mit einem Schiff ganz ohne Wasser«, sagt sie.
    »Ich weiß«, sagt Nanna.
    »Hast du auch gesteuert?«
    »Wir haben uns abgewechselt. Komm, wir gehen rein. Ich will wissen, wie es drinnen aussieht. Vielleicht gibt es das Sternenzimmer noch.«
    »Was ist das Sternenzimmer?«
    »Ein Zimmer mit Sternen an der Decke. Da haben wir immer Märchen vorgelesen bekommen.«
    Nanna geht zur Eingangstür. Fride rennt eine Runde ums Schiff, dann kommt sie nach. Im Fenster hängen Bilder, die aus Herbstlaub gebastelt sind, und Handabdrücke in rot, blau und grün. Stühle und Tische stehen im Halbdunkel.
    Sie gehen ins Haus. Es riecht nach Papier und Bleistiften.
    »Es riecht noch wie früher«, sagt sie.
    Fride schaut sich alles an. Rundherum auf der Tischplatte kleben Bilder von Kindern.
    »Wieso sind da Bilder auf dem Tisch?«, fragt sie.
    »Damit jeder wusste, wo er sitzt.«
    »Ah.«
    »Wir gehen ins Sternenzimmer«, sagt Nanna und verschwindet durch eine Tür.
    Im Sternenzimmer ist es dunkel und nur die Sterne an der Decke glänzen schwach im Licht, das durch die Tür fällt.
    »Ich war nie in einem Kindergarten«, sagt Fride und setzt sich auf das blaue Sofa.
    »Nein, ich weiß«, sagt Nanna.
    »Ich würde so gerne noch andere Kinder kennen.«
    »Du kennst doch jetzt Vogel.«
    »Der ist doch viel größer als ich. Und sonst haben wir ja niemanden getroffen.«
    Nanna hebt eine lange Spielzeugschlange auf und hält sie Fride vor die Nase.
    »Glaubst du, wir treffen noch mehr?«
    »Das weiß ich nicht«, sagt Nanna.
    Sie betrachtet Fride, wie sie im Halbdunkel sitzt, über sich die Sterne und den Mond aus Silberpapier. Fride schaut sich die Bücher und Puppen an, die auf dem Sofa liegen. Sie hält die Puppen vor sich hoch und formt Wörter mit dem Mund, ohne dass ein Ton dabei herauskommt.
    »Hast du genug gesehen?«, fragt Nanna. »Wir müssen jetzt in die Wohnung.«
    »Können wir nicht erst ein bisschen spielen«, fragt Fride. »Nur ein bisschen?«
    Nanna zögert, bevor sie antwortet.
    »Na gut, aber nur kurz.«
    »Oh, du bist so lieb«, sagt Fride und steht vom Sofa auf.
    »Wir könnten Perlen fädeln oder malen. Hast du Lust?«
    Fride schaut weg und fragt vorsichtig: »Vielleicht können wir spielen, dass du

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