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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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wieder und wieder davon. »Das Theater«, sagte sie, »ist eine vollkommene Welt, wo alles so ist, wie es sein sollte. Auch wenn das Stück schlecht ausgeht. Denn alles hat seine Ordnung.«
    Christmas war fünf Jahre alt und begriff nicht, was seine Mutter da redete. Aber wenn sie zusammen auf dem Bett lagen oder durch den Battery Park spazierten und dabei beobachteten, wie lauter fröhliche Menschen auf die Fähren nach Coney Island strömten, oder wenn Cetta mit ihm zur Queensboro Bridge ging, auf Blackwell’s Island zeigte und ihm erklärte, dass Sal dort in dem grauen Bau war und bald herauskommen würde, dann bat Christmas sie, ihm noch mehr vom Theater zu erzählen. Und da Cetta sich nur noch vage an das Stück der Streikenden von Paterson erinnerte, dachte sie sich jedes Mal eine neue Geschichte aus. Ausgehend vom Streik, entstanden so Geschichten, die von Liebe oder Freundschaft handelten oder in denen Drachen und Prinzessinnen vorkamen und Helden, die ihre Liebste nie im Stich ließen, selbst wenn sie bereits mit einer Hexe verheiratet waren oder der König sich ihrer Liebe entgegenstellte.
    »Wann gehst du mit mir ins Theater?«, fragte Christmas.
    »Wenn du groß bist, mein Junge«, antwortete Cetta und strich ihm die blonde Locke aus der Stirn.
    »Warum bist du nicht Schauspielerin geworden?«
    »Weil ich zu dir gehöre.« Cetta nahm ihn in die Arme und drückte ihn an sich.
    »Dann kann auch ich nie Theater spielen«, hatte Christmas eines Tages gesagt. »Auch ich gehöre zu dir, stimmt’s, Mama?«
    »Ja, Schatz, du gehörst zu mir«, hatte Cetta gerührt erwidert. Dann hatte sie sein Gesicht in ihre Hände genommen und war ernst geworden. »Aber du kannst im Leben tun, was immer du willst. Und weißt du, warum?«
    »Puh, ja ...«, hatte Christmas gestöhnt und sich aus der Umarmung befreit.
    »Sag es.«
    »Mama, nicht schon wieder ...«
    »Sag es, Christmas.«
    »Weil ich Amerikaner bin.«
    »Sehr gut, Junge.« Cetta hatte gelacht. »Ja, du bist Amerikaner.«
    Um aber ein echter Amerikaner zu sein, musste er zur Schule gehen. Und so meldete Cetta ihn im darauffolgenden Jahr an der Bezirksschule an. »Von nun an bist du ein Mann«, sagte sie. Sie kaufte ihm das Lehrbuch, drei Schulhefte, zwei Schreibfedern, je ein Fass schwarze und rote Tinte, fünf Bleistifte, einen Anspitzer und einen Radiergummi. Und zum Abschluss des ersten Jahres – in dem sich herausstellte, dass Christmas ein vorbildlicher Schüler war, rastlos und neugierig, von schneller Auffassungsgabe – schenkte sie ihm ein Buch.
    Im Battery Park setzten sie sich gemeinsam auf eine Bank, und Christmas las Cetta laut die Abenteuer von Wolfsblut vor. Jeden Tag eine Seite.
    »Das ist unsere Geschichte«, sagte Cetta, als sie das Buch nach fast einem Jahr ausgelesen hatten. »Wir sind wie Wolfsblut, so wie Wölfe, wenn wir in New York ankommen. Wir sind stark, aber wir sind wild. Und wir treffen auf böse Menschen, die uns noch mehr verwildern lassen. Die fähig sind, uns in den Tod zu schicken, wenn wir uns nicht dagegen wehren. Aber wir sind nicht nur wild. Wir sind auch stark, Christmas, vergiss das nie. Und wenn wir auf jemanden treffen, der anständig ist, oder wenn das Schicksal es endlich gut mit uns meint, dann werden wir dank unserer Stärke wie Wolfsblut. Amerikaner. Wir sind nicht mehr wild. Darum geht es in dem Buch.«
    »Ich mag Wölfe lieber als Hunde«, sagte Christmas.
    Cetta streichelte über sein weizenblondes Haar. »Mein Liebling, du bist ein Wolf. Und der Wolf in dir wird dich, wenn du groß bist, stark und unbesiegbar machen. Aber wie Wolfsblut musst du auf die Stimme der Liebe hören. Wenn du für diese Stimme taub bist, wirst du wie all die Jungen hier im Viertel werden: Diese Banditen sind keine wilden Wölfe, sondern wütende Hunde.«
    »Ist Sal im Gefängnis, weil er ein wütender Hund ist, Mama?«
    »Nein, mein Schatz«, sagte Cetta lächelnd. »Sal ist im Gefängnis, weil auch er ein mutiger Wolf ist. Aber sein Schicksal ist anders verlaufen als das von Wolfsblut. Er ist wie der alte Anführer des Rudels, der auf einem Auge blind ist, weise auf der sehenden Seite und blind auf der anderen.«
    »Bist du dann Wolfsbluts Mama? Machst du, dass die Hunde sich in dich verlieben, und lockst sie dann in den Wald, wo die Wölfe sie in Stücke reißen?«
    Stolz sah Cetta ihn an. »Nein, ich bin deine Mama und sonst nichts, Schatz. Ich bin wie die Seiten des Buches. Auf denen du deine ganze Geschichte aufschreiben kannst und

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