Der Junge, der Träume schenkte
»Ich kapiere gar nichts mehr ...«, brummte er.
Christmas fasste sich endlich wieder und wandte sich lächelnd dem berühmten Studiogast zu. »Danke, Mr. Astaire«, sagte er und stellte ihn mit großer Geste Cyril vor. »Mr. Astaire ist der erste Gast bei Diamond Dogs .« Er klopfte Santo auf die Schulter und zwinkerte ihm zu. »Und das ist Santo, das zweite der beiden Mitglieder der Diamond Dogs und außerdem der neue Leiter der Bekleidungsabteilung bei Macy’s. Er verdient so viel Geld, dass er sich ein Auto leisten kann, was es uns ermöglicht hat, Mr. Astaire zu entführen .«
»Stets zu Diensten, Chef«, meinte Santo.
»Ihr seid verrückt«, knurrte Cyril und drückte eine Reihe von Knöpfen. »Dreißig Sekunden ...«
»Haben Sie den Anfang noch im Kopf, Mr. Astaire?«, wollte Christmas wissen.
»Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, ja.«
»Zwanzig ...« Cyril warf einen mürrischen Blick auf Karl und Christmas. »Habt ihr Mädchen euch endlich beruhigt?«
Christmas sah hinüber zu Karl. Ihre Blicke kreuzten sich, noch immer spannungsgeladen.
»Zehn ...«
Fred Astaire nahm Platz und griff nach dem Mikrofon.
»Ich dachte, du vertraust mir«, sagte Christmas angespannt.
»Fünf ...«
»Das dachte ich von dir auch«, gab Karl mit bösem Blick zurück.
»Auf Sendung«, sagte Cyril bebend und drückte einen Knopf.
Mit eisiger Miene starrten Christmas und Karl einander an.
»Guten Abend, New York ...«, hob eine Stimme an.
Alle wandten sich überrascht Fred Astaire zu.
»Ich weiß, das ist nicht die Stimme eures Christmas. Klar, hier ist ja auch Fred Astaire ...«
Christmas setzte sich neben den Schauspieler.
»Ich spreche zu euch aus dem Geheimsitz von CKC, Freunde«, fuhr Fred Astaire fort. »Aber fragt mich nicht, wie ich da hingekommen bin. Ich wurde entführt. Man hat mir eine Kapuze über den Kopf gezogen, mich in ein Auto verfrachtet und offenbar eine halbe Stunde im Kreis herumgefahren, um mich zu verwirren ...«
»Ist uns das denn gelungen, Mr. Astaire?«, fragte Christmas ins Mikrofon.
»Das kannst du wohl laut sagen!« Fred Astaire lachte. »Ihr Gangster habt gar nicht so üble Methoden.«
Auch Christmas lachte. Doch anders als sonst, suchte er nicht in Karls Blick nach Zustimmung. Und als Karl lachte, sah er dabei Christmas nicht an. Beiden war bewusst, dass etwas zwischen ihnen zerbrochen war.
»Aber keine Sorge, New York«, sprach Fred Astaire gut gelaunt weiter. »Ich bin gesund und munter. Sobald die Sendung vorbei ist, werde ich wieder freigelassen und erwarte euch alle heute Abend im Theater ... Im Grunde, so habe ich mir überlegt, ist der Unterschied zwischen Gangstern und Schauspielern gar nicht so groß. Dazu kann ich euch ein paar ziemlich interessante Anekdoten erzählen. Auch wir haben unsere Methoden, einen Kollegen auszuschalten ...«
Christmas, Karl, Cyril, Santo und Sister Bessie lachten, ebenso wie die Hörer zu Hause vor ihren Radios. Die Gangster in den Kneipen und Billardsälen grölten. Und Cetta, die vor lauter Aufregung die Hände vor den Mund schlug, kicherte. »Schwuchtel«, brummte Sal schmunzelnd.
»Es gibt nur eine Spezies, die noch schlimmer ist als Gangster und Schauspieler«, hob Fred Astaire wieder an. »Ich spreche natürlich von Anwälten.«
57
Manhattan, 1928
Nach Fred Astaire, dessen Gastauftritt in Diamond Dogs ein gewaltiges Echo in der Presse hervorrief, war es Duke Ellington, der entführt wurde. Während der Sendung sagte er: »Hey, einmal abgesehen von dieser lästigen Kapuze gefällt mir CKC. Hier lassen sie sogar Nigger rein, nicht so wie im Cotton Club . Zwei sitzen gerade neben mir.« Stolz reckte Cyril den Kopf. Sister Bessie jedoch konnte sich nicht beherrschen und brüllte: »Ich habe den ersten Dollar für diesen Sender gegeben. Mir gehört ein Stück davon und dir nicht, Duke. Du sitzt gerade neben mir, nicht andersherum.« Womit sie schallendes Gelächter an den Mikrofonen von Diamond Dogs auslöste und sich in ganz Harlem Beliebtheit und Respekt verschaffte.
Als Nächstes entführte man Jimmy Durante, Al Jolson, Mae West, Cab Calloway, Ethel Waters und zwei junge Broadway-Schauspieler, James Cagney und Humphrey DeForest Bogart, der erklärte, er habe sich vor allem darauf eingelassen, um Christmas kennenzulernen.
»Wieso das?«, wurde er gefragt. »Nun ja, ich bin am Weihnachtstag geboren. Wie könnte ich mir einen Kerl entgehen lassen, der den Namen meines Geburtstages trägt?«
Entführt zu werden, kam in Mode. Nicht
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