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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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die Augen zusammen, als müsste er sein Gegenüber fokussieren.
    »Ich bin’s, Arty, kennst du mich nicht mehr?«
    Mit gerunzelter Stirn musterte Bill ihn, als versuchte er, einzelne Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen, miteinander zu verknüpfen.
    »Er ist stumm«, sagte der Alte.
    »Stumm, so ein Quatsch!«, widersprach Arty.
    »Der Gott der Rache hat ihm wegen seiner Sünden die Zunge austrocknen lassen, so wie er es mit uns allen tun wird«, erklärte ihm der Alte drohend und streckte ihm einen schmutzigen Finger entgegen. »Und dann wird der Gott der Gerechtigkeit uns blind und taub machen, weil wir das Kino erfunden haben und eine Schande für die Schöpfung sind.«
    »Amen«, sagten die anderen drei Penner mit mechanischer Inbrunst. Dann hielt einer von ihnen Arty bettelnd die Hand entgegen.
    Doch der Regisseur beachtete ihn nicht. »Ich bin’s, Arty«, sagte er erneut, trat auf Bill zu und fasste ihn an den Schultern.
    Bill starrte ihn mit offenem Mund an. Kaum merklich bewegte er schließlich die aufgeplatzten Lippen. »Ar-ty ...«, brachte er mühsam hervor.
    »Ja, Arty!«, rief der Regisseur und fiel Bill um den Hals. »Arty, Arty Short, dein Partner, dein Freund.«
    »Arty ...«, wiederholte Bill leise. Seine Augen sahen die Welt um ihn herum langsam wieder scharf, zunächst den Regisseur, dann seinen eigenen Aufzug, schließlich den alten Propheten und seine drei Jünger. »Arty ...«
    »Ja!«
    »Arty Short ...«
    Der Regisseur lachte. »Ja!«
    Bill löste sich aus der Umarmung und schaute sich um, die Augen fiebrig glänzend vor Angst. »Die suchen nach mir, Arty«, raunte er ihm zu. »Die wollen mich auf den elektrischen Stuhl bringen.« Wieder sah er sich voller Schrecken um. »Ich muss verschwinden ...«
    »Nein, nein, hör mir zu, Cochrann. Sieh mich an ... sieh mich an«, redete Arty auf ihn ein und hielt ihn an den Schultern fest. »Die Polizei war auch bei mir. Die suchen dich wegen einer Lappalie, wegen eines Diebstahls in Detroit. Eine Frau, die bei Ford arbeitet, hat dich angezeigt. Angeblich hast du ihre Ersparnisse geklaut. Hörst du mir zu, Cochrann? Für so einen blöden kleinen Diebstahl kommt keiner auf den elektrischen Stuhl.«
    »Liv ...«
    »Ja, kann sein, Liv.«
    Bills Blick ging nun wieder ins Leere, als würde er sich aufs Neue in Erinnerungen verlieren.
    »Hör mir zu, Cochrann ...« Arty rüttelte ihn. »Sieh mich an. Ich bringe das alles in Ordnung ... aber lass uns jetzt fahren. Lass uns nach Hause fahren. Du musst dich waschen. Du musst etwas essen, du bist ja dürr wie ein Skelett. Alle warten auf dich. Alle fragen mich nach dir. Wir müssen einen neuen Film drehen.«
    Bill lächelte. Verhalten, aber er lächelte.
    »Kehren wir zurück ins Kino, Punisher«, sagte Arty ihm ins Ohr und legte den Arm um ihn. »Kehren wir zurück nach Hollywood.«
    »Sodom und Gomorrha!«, rief der Prophet aus, der das letzte Wort verstanden hatte. Er berührte Bill besitzergreifend mit der Hand. Auch die anderen drei Stadtstreicher kamen drohend näher.
    »Verpiss dich, Opa! Mach, dass du wegkommst!« Arty griff in seine Tasche, brachte eine Hand voll Münzen zum Vorschein und warf sie auf den Gehweg.
    Der Prophet und seine drei Jünger stürzten auf die Knie und stritten sich um das Geld.
    »Fahren wir, Partner«, sagte Arty. Er packte ihn und schob ihn zum Auto.
    Bill ließ sich führen. Noch immer zog er die Kiste hinter sich her.
    »Und lass das blöde Ding liegen! Verschwinden wir von hier, beeil dich!« Am Wagen angelangt, drückte Arty ihn hinein und brauste wenig später mit Vollgas davon.
    Eine Woche später war Bill wieder Herr seiner Sinne. Er erinnerte sich, dass der Prophet und die Stadtstreicher, die mit ihm umherzogen, ihn aufgegabelt hatten. Er hatte ohne Decken unter freiem Himmel geschlafen, ab und an ein Feuer entfacht und von Almosen gelebt. Bill erinnerte sich, dass der Prophet ihn anfangs mit einem Stock verprügelt hatte, bevor er ihm aufgetragen hatte, fortan die Kiste für ihn zu schleppen. Und schließlich erinnerte Bill sich an den Morgen, an dem Arty ihn gefunden und gerettet hatte. Seither wohnte er in dem adretten Reihenhaus des Regisseurs.
    In der Zwischenzeit hatte Arty Bills Bankkonto aufgelöst und, nachdem er ihm eine neue Identität beschafft hatte, alles Geld auf ein neu eröffnetes Konto bei einer anderen Filiale eingezahlt.
    »Von nun an heißt du Kevin Maddox«, erklärte Arty ihm am Ende der Woche. »Mit Cochrann Fennore hast du nichts mehr zu

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