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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Geräusch, das sich anhörte wie Bills Fausthiebe, wie ihr Schlüpfer, der zerriss, wie Bills Gewalt. Das sich anhörte wie ein Seil, das unter zu starker Spannung plötzlich zersprang wie ein zu intensives Glück, eine unkontrollierbare Leidenschaft, eine Liebe, die sie nicht zügeln konnte und die sie irgendwann zerrissen hätte.
    Zum Glücklichsein nämlich war sie nicht geboren, sagte sie sich. Denn das Glück war der Gewalt viel zu ähnlich. Beide kannten keine Grenzen, keine Schranken, keine Zäune, beide waren ungezähmt. Wie ein wildes Tier.
    Sie stand wieder auf, und im gleichen Moment sah sie ein Oakland Sport Cabriolet vorbeirasen und im Wagen Christmas’ blonden Schopf. Ruth sprang zurück ins Gebüsch.
    Er darf mich nicht finden, dachte sie. Denn würde er sie finden, wüsste sie nicht, wie sie dem Glück, das er ihr zu geben vermochte, widerstehen sollte. Und sie würde verrückt werden. Zum Glücklichsein nämlich war sie nicht geboren, konnte es niemals mehr sein. Seitdem sie sich eines Abends mit einem Gärtner von zu Hause fortgestohlen hatte, bloß weil er gelacht und sie zum Lachen gebracht hatte. Alles hatte an dem Abend angefangen, als sie nach einem Glück gesucht hatte, das größer war als sie, das nicht zu ihr gehörte und nie zu ihr gehören sollte. Ihre Suche nach dem Glück war auf Unheil, auf Gewalt gestoßen.
    Ruth blickte den Sunset Boulevard hinunter. Die Rücklichter des Oakland waren schon weit weg. Gewiss war Christmas unterwegs zum Venice Boulevard, er würde Clarence wecken und dort auf sie warten. Und schließlich würde er sie finden. Da kam ihr erneut Daniel in den Sinn. Wenn ich zu Daniel gehe, dachte Ruth, bin ich sicher. Dort gab es kein Glück und keine Gewalt, nur ein laues Gefühl, das alles war, was sie sich erlauben konnte.
    Sie stand auf und machte sich auf den Weg zu den Reihenhäusern, die alle gleich aussahen, in denen Familien wohnten, die einander ähnelten, und wo es nach Mehl und Apfelkuchen und Lavendel für die Wäsche roch.
    Auf der Flucht vor dem Glück.
    »Carne Asada und Guacamole, ich habe zwar nicht verstanden, was das ist, aber es riecht gut«, hatte Christmas lachend gesagt, als er mit einem großen Teller in der Hand wieder im Schlafzimmer aufgetaucht war. Da er Ruth nicht im Bett vorfand, rief er ins Badezimmer hinüber: »Das Hausmädchen heißt übrigens Hermelinda. Sie kommt aus Mexiko.« Als er keine Antwort bekam, setzte er sich aufs Bett, tauchte einen Finger in die Soße und kostete sie. »Wenn du dich nicht beeilst, ess ich alles allein auf«, verkündete er laut, schloss glücklich lächelnd die Augen und versuchte, Ruths Duft, der noch im Zimmer hing, einzufangen. Den Duft, der sich ihm eingebrannt hatte und von dem er nie genug bekommen würde. Doch der würzige Fleischgeruch überlagerte inzwischen alles. Daher sprang Christmas auf und ging hinüber zum Sessel, um an dem lila Kleid, das Ruth dort abgelegt hatte, zu schnuppern, bis sie endlich zu ihm zurückkehren würde. Aber das Kleid war nicht mehr da.
    »Ruth«, rief er besorgt, und eine leise Angst beschlich ihn. Auch die Tasche mit den Fotoapparaten fehlte! Er stürzte hinaus auf den Flur. »Ruth!«, rief er lauter.
    »Señor?«, ließ sich das Hausmädchen aus dem Erdgeschoss vernehmen.
    Christmas gab keine Antwort. Er lief zurück ins Schlafzimmer und trat ans Fenster. »Ruth!«, schrie er in die abendliche Dunkelheit hinaus. »Ruth!« Da bemerkte er das offen stehende Tor. Eilig zog er sich an, rannte nach unten, startete den Oakland und brauste los.
    Nachdem er ein Stück den Sunset Boulevard hinuntergefahren war, hielt er an. Er wendete den Wagen und fuhr zurück, in die andere Richtung, den Blick suchend in die Dunkelheit gerichtet. Von Ruth aber war weit und breit nichts zu sehen. »Warum? Warum? Warum?«, schrie Christmas und traktierte das Lenkrad mit den Fäusten, während er den Weg zum Venice Boulevard einschlug.
    Sie kann nur dorthin zurückgekehrt sein. Dort muss sie sein, hatte er sich wieder und wieder gesagt und war gerast wie ein Wahnsinniger.
    Doch als er nun wie wild an die Tür der Fotoagentur klopfte, war er nicht mehr so sicher, dass er Ruth dort finden würde. »Ruth! Mach auf! Ruth!«, schrie er.
    »He, wenn du nicht aufhörst, rufe ich die Polizei!«, erklang eine Stimme hinter ihm.
    Aufgebracht fuhr Christmas herum. Er blickte in das verängstigte Gesicht eines Mannes, der im Türspalt der Wohnung gegenüber stand. »Verpiss dich, Arschloch!«, brüllte

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