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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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Haare schneiden«, sagte er und ließ sich in einem Sessel nieder. Bei einem Blick in den Spiegel bemerkte er hinter sich eine Blondine in gestreifter Arbeitskluft, die auf einer Bank saß und in einer Zeitschrift blätterte. »Können Sie mir die Nägel machen?«, fragte er sie.
    »Natürlich, Sir«, antwortete die Frau, ohne aufzublicken. Dann legte sie die Zeitschrift beiseite, stand auf und ging ins Hinterzimmer.
    Bill hörte Wasser rauschen. »Und nach der Rasur will ich noch eine Balsammassage.«
    Die blonde Frau kam mit einer Schüssel Seifenlauge zurück und setzte sich neben ihn auf einen niedrigen Schemel.
    Bill tauchte die Hand in die Schüssel. Das Wasser war lauwarm und entspannend.
    Der Friseur seifte ihn ein, bevor er das Rasiermesser am Lederriemen abzog.
    Bill starrte auf das Messer. Es war scharf wie seine Gedanken. Er war unbesiegbar. »Heute Abend gehe ich zu einer Hollywood-Party«, erzählte er der Frau.
    »Sie Glücklicher«, gab sie, über seine Fingernägel gebeugt, zurück.
    Ja, dachte Bill. Das Leben ließ sich aufs Neue großartig an.

68
    Los Angeles, 1928
    »Barrymore hat mich nach dir gefragt«, sagte Mr. Bailey.
    Ruth sah ihn schweigend an.
    »Er sagte, wenn du heute Abend mitkommst, stellt er eins von deinen Fotos aus, die er nie zerrissen hat«, fuhr Clarence fort.
    Ruth lächelte.
    »Was soll das heißen?«
    »Dass er ein mutiger Star ist.«
    Mr. Bailey schüttelte den Kopf und gab es auf, sie verstehen zu wollen. »Möchtest du mich begleiten?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Komm schon, tu es für mich armen alten Mann. Ich hasse Partys, aber dieses Mal kann ich mich nicht davor drücken.«
    »Ich weiß wirklich nicht, Clarence.«
    »Mit einem so hübschen Mädchen würde ich ganz schön Eindruck schinden«, meinte Clarence grinsend. »Noch dazu mit einer meiner begnadetsten Fotografinnen.«
    Ruth lächelte.
    »Launisch, unberechenbar ... aber reich an Talent.«
    Ruth musste lachen. »Ich bin nicht launisch.«
    »Oh, und ob du das bist! Du hast mehr Allüren als die Stars. Und das Beste ist, wir lassen dich gewähren. Na los, begleite mich, dann bekomme ich dieses Foto von Barrymore zu sehen.«
    »Ich habe nichts Passendes anzuziehen«, wandte Ruth ein.
    Mr. Bailey legte ein Paket auf Ruths Schreibtisch.
    »Was ist das?«
    »Mach es auf«, bat er.
    Wenig später hielt Ruth ein smaragdgrünes Seidenkleid in Händen. Sie staunte mit offenem Mund.
    »Es passt genau zu deinen Augen«, sagte Clarence.
    »Wieso ...?«
    Clarence ging zu ihr und schloss sie liebevoll in die Arme. »Es gab früher nichts Schöneres für mich, als Kleider für Mrs. Bailey zu kaufen«, sagte er leise. »Du hättest sehen sollen, wie gut sie ihr standen.«
    »Aber ... wieso ich?«
    Mr. Bailey trat ein wenig zurück und legte Ruth die Hände auf die Schultern. »Du bist die einzige Frau, der ich so etwas schenken kann, ohne dass der Eindruck entsteht, ich wäre ein Ferkel.«
    Ruth lachte. »Danke, Clarence.«
    Der alte Herr zuckte mit den Schultern. »Ich habe es für mich getan. Um mich lebendig zu fühlen.«
    »Ich meine nicht das Kleid, Clarence«, erklärte Ruth. »Wenn du nicht gewesen wärst ...«
    »Dann sind wir uns also einig, du begleitest mich«, fiel Clarence Bailey ihr schmunzelnd ins Wort, und damit drehte er sich um und verließ das Zimmer.
    Eine Weile blickte Ruth auf das Kleid. Dann hielt sie es sich vor und betrachtete sich im Spiegel. Das letzte Abendkleid hatte sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Ein Kleid so rot wie Blut. Es hatte sie in das Newhall Spirit Resort for Women gebracht. Ruths Magen krampfte sich nicht zusammen, als sie daran zurückdachte. In der Klinik hatte sie Mrs. Bailey und Clarence kennengelernt. So schmerzhaft die Erinnerung auch war, im Newhall Spirit Resort for Women hatte ihr neues Leben begonnen. Sie hatte den Mut gefunden, sich aus dem Käfig ihrer Familie zu befreien.
    Abermals betrachtete Ruth das grüne Kleid. Dir wird gerade ein weiteres Mal der Käfig geöffnet, sagte sie zu sich selbst.
    Da legte sie das Kleid auf dem Bett ab und verließ die Agentur. Sie kaufte sich weiße Strümpfe, ein Paar schwarze Lackschuhe mit flachem Absatz und ein kurzes schwarzes Seidenjäckchen mit breitem abgerundetem Kragen und dreiviertellangen, eng anliegenden Ärmeln. Danach besorgte sie sich in einem Kurzwarenladen fünf pastillenförmige Knöpfe im Grünton des Kleides und tauschte sie gegen die schwarzen Jackenknöpfe aus. In einer Parfümerie erstand sie einen zarten

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