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Der Junge, der Träume schenkte

Der Junge, der Träume schenkte

Titel: Der Junge, der Träume schenkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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das Radio verstummte. Offenbar hatte sie den Stecker aus der Steckdose gerissen. »Mist!«, fluchte sie, und Christmas sah seine Mutter in der Wohnung verschwinden.
    Während aus dem Fenster erneut Musik schallte, fuhr der Silver Ghost los.
    »Du hast Stil, Fred«, bemerkte Christmas, als sie die Monroe Street hinter sich ließen.
    Der Chauffeur sah ihn im Rückspiegel an. Er griff nach dem Mikrofon und sagte: »Sie müssen in das Mikrofon zu Ihrer Linken sprechen.«
    Christmas nahm das Mikrofon in die Hand. »Du hast Stil, Fred«, wiederholte er.
    »Danke, Sir.« Der Chauffeur grinste. »Lehnen Sie sich zurück, die Fahrt wird ein wenig länger dauern.«
    »Wohin fahren wir?«
    »New Jersey.«
    »New Jersey? Wo ist das denn? Richtung Brooklyn?«
    »Genau entgegengesetzt. Gute Fahrt.«
    Christmas hatte ein flaues Gefühl im Magen. Da zog er Ruths Brief aus der Tasche. Und wieder sah er die grünen Augen des Mädchens vor sich, dem er in seinem Herzen ewige Liebe geschworen hatte. Schließlich öffnete er den Umschlag und las den Brief ein weiteres Mal.
    Lieber Christmas,
    Großvater hat mir erzählt, was passiert ist, als Du mich im Krankenhaus besucht hast. Es tut mir leid, ich kann mich an kaum etwas erinnern. Du hast mir das Leben gerettet, und dafür möchte ich mich jetzt, da es mir besser geht, persönlich bei Dir bedanken. Großvater dachte daran, Dich zum Essen einzuladen.
    Ruth Isaacson
    P.S.: Die Idee mit dem Radio ist von mir .
    Christmas griff zum Mikrofon. »Hey, Fred.«
    »Ja, bitte?«
    »Der Alte hat in dem Laden das Sagen, stimmt’s?«
    »Vielleicht wäre es besser, Sie würden ihn Mr. Isaacson nennen.«
    »Okay. Aber jedenfalls hat er das Sagen, oder?«
    »Er hat zweifellos eine starke Persönlichkeit.«
    »Ja oder nein, Fred?«
    »Wenn Sie mich so fragen ... ja.«
    »Das dachte ich mir ...« Christmas sank wieder in den Ledersitz zurück, in der Hand den Brief, den er wieder und wieder las. Nach einer Weile griff er erneut zum Mikrofon. »Hey, Fred.«
    »Ja, bitte?«
    »Hast du eine Ahnung, was zum Teufel ›P.S.‹ heißen soll?«
    »Das benutzt man, wenn man eine Anmerkung unter einen Brief setzen will.«
    »Ich verstehe kein Wort.«
    »Wenn der Brief schon fertig und unterschrieben ist, man aber noch etwas zu sagen hat, schreibt man ›P.S.‹ und dahinter das, was man hinzufügen will.«
    »So in der Art: ›Ach, was ich vergessen habe‹?«
    »Genau.«
    Christmas blickte noch einmal auf den Brief und konzentrierte sich auf das ›P. S.‹ in Ruths schöner Handschrift. Sie erschien ihm sehr elegant. Er blickte aus dem Fenster. Der Wagen bog auf eine erhöht gebaute Hauptverkehrsstraße ab, von der Christmas nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierte. Die Hinweisschilder zogen zu schnell vorbei, als dass er die Namen all der unbekannten Orte hätte entziffern können. Die Geschwindigkeit, diese Welt, die über seine gewohnte Wahrnehmung hinausging, vermittelten ihm ein Gefühl von Gefahr. In seinem Kopf drehte sich alles, und das Atmen fiel ihm schwer, je weiter die Landschaft sich öffnete. Die Insel Manhattan rückte in immer weitere Ferne. Eine verblasste Ansichtskarte in der Heckscheibe des Autos. Nach etwa zehnminütiger schneller Fahrt wurde der Wagen langsamer und nahm eine Abfahrt. An deren Ende zeigte sich die Welt wiederum anders. Eine Straße verlief schnurgerade inmitten von Wiesen und Wäldern. Und zur Linken das Meer. Blau mit weißen Schaumkronen. Ganz anders als das dunkle Wasser, das man von den Docks oder der Fähre nach Coney Island aus sah. Und ein weißer Strand.
    Da griff Christmas wieder zum Mikrofon. »P. S., Fred.«
    »Wie bitte?«
    »P.S.«
    »Was soll das heißen, Mr. Luminita?«
    »Dass ich vergessen habe, dir etwas zu sagen, Fred. P. S., oder nicht?«
    »Ach so, natürlich ... Was gibt es?«
    »Könnte ich nicht vielleicht nach vorne kommen?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich würde lieber vorne bei dir sitzen. Hier hinten komme ich mir vor wie in einem Sarg, und dieses Mikrofon ist schrecklich.«
    Fred grinste und hielt am Straßenrand an. Christmas sprang aus dem Wagen und setzte sich neben Fred. Der Chauffeur sah ihn an. Christmas zog ihm die Mütze vom Kopf und setzte sie sich selbst auf. Dann lachte er und legte die Füße auf das Armaturenbrett. Nachdem Fred den spontanen Impuls, das Auto zu schützen, niedergekämpft hatte, lachte auch er und fuhr wieder an.
    »Ah, so macht Autofahren Spaß«, rief Christmas aus. Er wandte sich dem steif dasitzenden

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