Der Junge im Mond: Wie mein Sohn mir half, die Welt zu verstehen (German Edition)
(»Philosophisch-medicinische Abhandlung über Geistesverwirrungen oder Manie«) veröffentlichte und damit die Ära der Irrenhäuser begründete, hatte einer von zehn Parisern einige Zeit in einer solchen Einrichtung verbracht. Irrenhäuser waren die zeitgenössische Einheitslösung.
Aber was Fergus und Bernice McCann am meisten vermissten, war nicht Geld oder Hilfe, sondern Privatsphäre. Melissa hatte sie in das System öffentlicher Sozialfürsorge gestürzt, die beiden gezwungen, um alles zu kämpfen, was sie brauchte. Melissa war behindert, aber die Sorge um sie hatte umgekehrt auch Bernice und Fergus behindert. »Wenn man ein behindertes Kind hat«, sagte Fergus, »kann man nicht einfach zusehen, wie das Leben weitergeht, so wie man es tun kann, wenn man ein normales Kind hat. Man kämpft um Dinge, bringt sich in diese schwierige Position, und man verliert eine Menge. Wir haben das Recht verloren, bloß eine Familie zu sein und in Ruhe gelassen zu werden.«
Unvermeidlich sorgten sich Fergus und Bernice auch darum, was mit Melissa geschehen würde, wenn sie nicht mehr da wären. Sie hatten einen Plan entwickelt, wonach Melissa in ihrem eigenen Haus wohnen konnte und drei junge Frauen ihr helfen würden. Sie hatten ihr ein hübsches Haus gekauft, ungefähr doppelt so groß wie ihr eigenes, das 573 000 Dollar gekostet hatte. (»Das sind fünfundzwanzig Jahre meines verdammten Geldes«, sagte Fergus.) Die Regierung hatte Programme aufgelegt, die helfen würden, Melissas Betreuer zu bezahlen, die Verwaltung des Hauses wurde von einem Beirat kontrolliert, dem auch Melissas Brüder angehörten.
Als ich mit Bernice und Fergus sprach, waren sie gerade dabei, Melissa den »Übergang« in ihr neues Zuhause und ihr eigenes Leben zu ermöglichen. Sie schien diese Aussicht zu genießen. Ihre Söhne zogen auch gerade aus, und plötzlich waren Bernice und Fergus mit einem leeren Haus konfrontiert. »Das passiert alles viel schneller, als wir eigentlich wollten, dass unsere Kinder das Haus verlassen«, sagte Fergus, »aber sie haben beschlossen, es alle gleichzeitig zu tun.« Nach Jahren der Sehnsucht nach dem Alleinsein, wenn er es nicht sein konnte, würde er es nun bald wieder sein. Er war überraschend bekümmert.
Ein Teil von mir wollte zu Fergus sagen, na ja, jetzt hast du, was du haben wolltest. Ich würde das nicht zu einem typischen Vater normaler Kinder sagen, der sich jahrelang verzweifelt danach gesehnt hatte, mal einen Moment für sich zu haben, und dann seine Kinder vermisste, wenn sie begannen, auszuziehen. Aber Fergus und Bernice beschlossen, die Welt dazu zu zwingen, das Leid ihrer Tochter zur Kenntnis zu nehmen. Selbst ich, der es doch besser wusste, wollte sie leiden sehen, dafür dass sie mich gezwungen hatten, ihre Qualen zu spüren.
Es gab immer eine neue Geschichte, die auf die vorausgegangene noch eins draufsetzte. Wie schwierig auch immer jemandes Leben war – und ich musste oft die Leute dazu überreden, auch mal eine Klage zu äußern, so stark war der Impuls, gänzlich unbeeinträchtigt zu erscheinen – es gab immer noch jemand, der es noch schwerer hatte.
Angie Lydicksen wohnte nach wie vor in dem Ort in Connecticut, in dem sie aufgewachsen war. Sie war zweiundvierzig Jahre alt und arbeitete als Geschäftsführerin einer zähnärztlichen Praxis. Sie hatte zwei Jungen: Eric, der zehn war, und Luke, der acht war und CFC hatte. Bevor ihr erster Sohn geboren wurde, hatte sie sich »verzweifelt« eine Familie gewünscht. Sie hatte drei Fehlgeburten gehabt und sich schließlich einer Hormonbehandlung unterzogen. Aber mit Luke wurde sie dann ganz schnell schwanger, und zwar genau zum gewünschten Zeitpunkt. »Ich wollte sie schnell hintereinander haben«, sagte sie zu mir. Ihre Schwangerschaft mit Luke war »mehr als perfekt«, und selbst als die Wehen zwei Wochen zu früh einsetzten, betrachteten die Ärzte die Schwangerschaftsdauer als ganz normal. »Mein Problem mit Schwangerschaften war immer, bis zum Ende durchzuhalten«, sagte sie, »und so habe ich mir nie vorgestellt, als es mit Luke so war, dass ein ganz anderes Leben beginnen würde.« Eine merkwürdige Belohnung für Ausdauer.
Ihr Leben änderte sich von einem Augenblick auf den anderen. »Von dem Moment an, als er geboren war, brach die Hölle los. Sobald sie ihn mir in die Arme legten, wussten mein Mann und ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Er stellte keinen Kontakt zu uns her.« Er wurde schnell auf die Intensivstation für
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